|   Rezension

Sleater-Kinney

Little Rope

(Loma Vista/Concord)

Sanftmut gehört eher weniger zu Sleater-Kinneys vornehmsten Eigenschaften, ihre Songs sind widerborstig und schroff, gänzlich ungeeignet als lauschige Nebenherbeschallung. Das war zum Gründungszeitpunkt Mitte der neunziger Jahre der Fall, dabei ist es geblieben. Beobachten lässt sich höchstens eine Ausdifferenzierung, zuerst im strukturellen Bereich der Songformen, inzwischen aber auch klanglicherseits. Gerade was letztes Element betrifft, gelingt den ehemaligen Riot Grrrls aus Olympia, Washington, mit "Little Rope" ein faszinierendes elftes Studioalbum.

Welchen Umständen schlussendlich geschuldet ist, dass "Little Rope" die Überfliegerscheibe werden konnte, die jetzt vorliegt, lässt sich gar nicht so genau verifizieren. Liegt es am Ausstieg von Schlagzeugerin Janet Weiss, so dass dem Restduo aus Corin Tucker und Carrie Brownstein mehr kreative Beinfreiheit bleibt? Oder daran, dass Carrie Brownsteins Mutter und Stiefvater währende einer Italienreise mit dem Auto tödlich verunglückt sind und die Trauer um den tragischen Verlust wie ein Teilchenbeschleuniger ungeahnten Schaffenselan freigesetzt hat, nach dem Motto, jetzt erst recht?!

Dem US-Musikmagazin Rolling Stone verriet Carrie Brownstein, dass die Schreckensnachricht aus Italien eintraf, als "Little Rope" zur Hälfte fertiggestellt war und das Album von da an komplett überarbeitet wurde. Haargenau so kommt es einem vor, der investierte Einfallsreichtum spricht Bände. Die Gitarren fusionieren mit satten Synthesizersounds oder hinterlassen wie beiläufig geniale Riffeinwürfe. Das Schlagzeug erinnert streckenweise an Drumcomputer und umgekehrt. Tendiert "Six Mistakes" mehr zum Experimentellen, entwickeln "Say It Like You Mean It" oder "Crusader" regelrechte Ohrwurmqualitäten, ohne hinter der Intensität der übrigen Stücke zurückzustehen. "Hell", die erste Vorabauskopplung, thematisiert dem Vernehmen nach Carrie Brownsteins Angehörigenverlust, zielt ebenso aber auf die nahezu alltäglich gewordene Waffengewalt in den USA, wenn es heißt "Hell needs no invitation/Hell don't make no fuss/Hell is desperation/And a young man with a gun". Entgegen anders lautendenden Behauptungen, Rock ist nicht tot, das Genre klingt bloß weitaus facettenreicher. "Little Rope" lässt keinerlei Zweifel.
Bernd Gürtler/TM


Sleater-Kinney
"Little Rope"
(19.1.24; Loma Vista/Concord)


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