|   Rezension

Peter Gabriel

i/o

(Real World/Virgin)

Falls Musikstreaming der Schnelllebigkeit Vorschub leisten sollte, deshalb das Album an Bedeutung verliert und nur im Bewusstsein der Hörerschaft bleibt, wer bei einschlägigen Internetanbietern in kürzerer Abfolge Singles platziert, dann hätte Peter Gabriel einiges richtig gemacht. Veröffentlicht die zwölf Songs zu "i/o" vorab über zwölf Monate, damit es auffällt jeweils zum nächsten Vollmond. Die physischen Tonträger bestückt mit denselben Songs in verschiedener Abmischung. Keinerlei Abstriche gibt es bei der Hingabe, mit der seine Musik gemacht wird, und den selten belanglosen Songinhalten.

Beteiligte Musiker sind songbezogen handverlesen und im Albumbooklet jeder beim Namen genannt, egal ob Langzeitmitstreiter wie Tony Levin, David Rhodes oder Manu Katché, prominente Gäste wie Brian Eno oder die Mitglieder des New Blood Orchestra mit seinem Konduktor John Metcalfe. Und wenn Peter Gabriel in "Panopticom" für einen gigantischen Data Globe wirbt, der den Erfahrungsschatz der gesamten Menschheit zum Nutzen aller verfügbar halten soll, in "The Court" Unzulänglichkeiten des Justizsystems anspricht, in "Playing For Time" für Nachhaltigkeit wirbt, stellt er nicht bloß seine eigene Betroffenheit zur Schau. Er macht sich zum Anstifter, der ein Mitdenken anregen will. Seine Songs sind von solcher Beschaffenheit, dass sie in den Alltag des Publikums hineinwirken können.

Albumübergreifendes Thema von "i/o" ist das verflixte Älterwerden. Bereits dahingegangenen Familienmitgliedern gedenkt "And Still", wo es heißt "And still your hands feel cold/Those hands that brushed my hair/I feel you everywhere". Die eigene Vergänglichkeit und einen Körper, der inzwischen merklich "stiffens, tires and aches/In its wrinkled, blotchy skin", erörtert "So Much". Der Titelsong zu "i/o", benannt nach der Kurzbezeichnung an elektronischen Musikgerätschaften für Input/Output, verkündet die mit den Jahresringen gewachsene Erkenntnis, dass es Sinn macht, mehr mit dem Universum in Einklang zu leben.

Peter Gabriel ist und bleibt ein außergewöhnlicher Künstler. Die achte reguläre Studioveröffentlichung des dreiundsiebzigjährigen Briten nach einundzwanzigjähriger Pause mit eigenen Songs funktioniert auch ganz hervorragend als Album, während gleichzeitig vorgeführt wird, wie sich neue Verbreitungswege zum eigenen Vorteil nutzen lassen. Es sind nicht wenige, die bedauern, dass Peter Gabriel der von ihm mitgegründeten und maßgeblich geprägten Progressiverockformation Genesis Mitte der siebziger Jahre den Laufpass gab. So wie sich die Band nach seinem Weggang entwickeln sollte, hätte er niemals bleiben können. "i/o" bietet unterhaltsame Kurzweil, Lichtjahre entfernt banal zu sein. Ein spätes Meisterwerk.
Bernd Gürtler/TM


Peter Gabriel
"i/o"
(Virgin; 1.12.23)


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