|   Rezension

Oysterband

Read The Sky

(Westpark)

Die Fähigkeit, Himmelszeichen zu deuten. Unverzichtbar in grauer Vorzeit, wenn Seefahrer ins Ungewisse aufbrechen wollten. Heutzutage gelangen monströse Ozeanriesen von Satelliten per GPS geleitet sicher ans Ziel, während der Menschheit langsam dämmert, was geschieht, sollte keine Kurskorrektur in Sachen Lebensweise gelingen. Mutter Erde, unsere Arche in der Unendlichkeit des Weltalls, wird auf Grund laufen! Oder wie sonst lassen sich Albumtitel und Frontcover zu "Read The Sky" deuten? Zumal die Vorabauskopplung "The Time Is Now" nichts Geringeres als den Klimawandel betrifft.

Zum Einsatz gebracht der Song an prominenter Stelle sogar schon. Die BBC nutzte "The Time Is Now" 2021 im Rahmen ihrer Berichterstattung zum Klimagipfel in Glasgow als Musiksignatur. "Smoke on the forest/Scars on the mountain, the sea we sail asleep/Sharper today/Cracks in the ice field/The air that we breathe, the tears we need to weep/We know too much to look the other way", heißt es im Songtext.

Wegducken, den Klimawandel leugnen geht nicht mehr. Die Tatsachen liegen auf dem Tisch, unignorierbarer als vor fünfzig Jahren, nachdem der Club Of Rom mit seiner Publikation "Die Grenzen des Wachstums" erstmals breitenwirksam auf Fehlentwicklungen der verschwenderischen westlichen Konsumgesellschaft hingewiesen hatte.

Die übrigen Songs auf "Read The Sky" verknüpfen Weltgeschehen mit privaten Betrachtungen, meistenteils der verbliebenen Kernmitglieder John Jones, Alan Prosser und Ian Telfer. Das Dreiergespann kennt sich seit Studentenzeiten im südostenglischen Canterbury, war ab Mitte der siebziger Jahre zunächst in jeweils anderen Bandformationen aktiv, um sich schließlich unter dem Dach der Oysterband zusammenzufinden, deren Bandnamensschreibweise sich ebenso häufig änderte wie die Besetzung.

Erhalten blieb eine hörbare Neigung zu englischer Folk Music, hinzu kam das dringende Bedürfnis nach Erneuerung der Tradition. Als Coverversionen unter anderem von New Orders "Love Vigilantes" ihren Zweck nicht mehr zu erfüllen schienen, wurde der Sound derart modifiziert, dass 1993 beim Album "Holy Bandits" die Musikzeitschrift Rock Hard aufmerksam wurde. Langzeithörer dürften auch jetzt wieder Facetten fern der Folkstilistik entdecken.

In der Hauptsache aber ist "Read The Sky" ein Album älterer Herrschaften, die Rückschau halten und dabei reichlich ins Grübeln kommen. "The Corner Of The Room" beispielsweise handelt von der Erkenntnis eines jeden, der auf der Suche nach des Pudels Kern die entlegendsten Winkel ausgeleuchtet hat, dass die essentiellsten Einsichten direkt vor der eigenen Haustür liegen. Schon immer und von Anfang an, zumeist geknüpft an Menschen, die einem lieb und teuer sind.
BG/TM


Oysterband
"Read The Sky"
(Westpark; 4.3.2022)


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Foto: Oysterband

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