|   Rezension

Bill Fay

Countless Branches

(Dead Oceans/Cargo)

So selten tritt Bill Fay ins grelle Rampenlicht des Showgeschäfts, dass der bundesdeutsche Vertrieb seiner jüngeren Schallplatteneinspielungen 2015 einen amüsanten Aprilscherz auf seine Kosten landen konnte. Zuvor hatte der menschenscheue Brite nach einundvierzigjähriger Abwesenheit das Comebackalbum "Life Is People" veröffentlicht und werde nun, hieß es in einer Pressemeldung von Cargo Records, sogar ein einziges Konzert geben. Im Londoner Astoria Theatre, unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Wer möchte, solle bei Bedarf eins von eintausend im Zuschauerraum platzierten Smartphones mieten und mitfilmen.

Nicht überliefert ist, was damals an Rückmeldungen eingegangen war. Wem genau Bill Fay den neuerlichen Aufmerksamkeitsschub verdankt, das hat die Fangemeinde auch noch nicht abschließend geklärt. Ist es Wilcos Jeff Tweedy gewesen, der wiederum durch Jim O'Rourke auf Bill Fay hingewiesen wurde, als Wilco ihr "Yankee Hotel Foxtrott" von ihm produzieren ließen? Oder war David Tibet von Current 93 die wichtige Schaltstelle? Oder die erste, bereits 1998 durch See For Miles Records initiierte Wiederveröffentlichung der beiden Debütalben "Bill Fay" beziehungsweise "Time Of The Last Persecution" von 1970/71?

Drei Alben mit neuen Songs sind jedenfalls seit 2012 erschienen. Versuchen "Life Is People" und Nachfolger "Who Is The Sender?" noch die wunderbaren Orchesterarrangements von "Bill Fay" mehr oder weniger auf ein Bandformat zu übertragen, wirkt "Countless Branches" deutlich reduzierter. Bill Fay an seinem Hauptinstrument, dem Piano, flüstert mehr als dass er singt. Sparsam ergänzt eine Gitarre, das Schlagzeug kommt nur zum Einsatz wenn es unbedingt sein muss. Hauchfein wie japanisches Seidenpapier wirken die Songs. Geboren 1943 und aufgewachsen im Londoner Norden noch unter dem Eindruck der Verwüstungen des Zweiten Weltkriegs, betrachtet er den Weltenlauf von jeher mit Sorge, aber nie als notorischer Schwarzseher. Literarisch geschult an John Steinbeck sei er "a seeker, someone who's looking for something more out of life. It's a deep subject that I find hard to express in normal conversations", diktierte er neulich dem britischen Musikmagazin Record Collector auf den Notizblock.
Bernd Gürtler/TM


Bill Fay
"Countless Branches"
(Dead Oceans/Cargo; 22.1.2020)


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Foto: Dead Oceans

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