|   Rezension

North Mississippi Allstars

Set Sail

(New West)

Eine Winzigkeit bloß, kaum der Rede wert eigentlich, wenn es in "See The Moon" heißt "I like my music loud and jumpy/With that funky electricity" und ein Synthesizereinwurf das Wort "electricity" buchstäblich aufleuchten lässt. Als würde in tiefster Finsternis kurz das Licht angeknipst! Aber genau das einer jener Momente, wo sich die überragende Qualität des gesamten Albums offenbart. Nicht nur wegen der gestalterischen Finesse ist den North Mississippi Allstars ein bemerkenswerter Wurf gelungen. Auch der Erbauung kann und will "Set Sail" dienlich sein.

Der beseelte Charakter speist sich aus den kraftvollen Wurzeln im Soul, dessen Ursprünge bekanntlich im Gospel liegen. Einer, der bei Stax Records in Memphis, Tennessee Mitte der sechziger Jahre an der Erfindung des Southern Soul beteiligt war, ist William Bell gewesen, selbst in Erscheinung getreten mit "You Don't Miss Your Water" und Autor des Bluesklassikers "Born Under A Bad Sign".

Die North Mississippi Allstars konnten den Altvorderen als Kreativpartner gewinnen. Mitbringen sollte er neben den für Stax typischen Blechbläsersätzen "Never Wanted To Be Kissed". Der Song, geht aus dem Presseinfo des Schallplattenlabels hervor, sei als Filmszenario konzipiert, über eine schmerzhafte Trennung während einer allerletzten Begegnung im einstigen gemeinsamen Lieblingsrestaurant um genau zu sein, und die Band hätte eine Art Soundtrack drum herum gebaut.

Ein gewisser Unterschied besteht tatsächlich. Während "Never Want To Be Kissed" einem fortlaufenden Erzählstrang folgt, sind die übrigen Songs eher Betrachtungen, Überlegungen, Gedankenfetzen. Gleichermaßen zu Beziehungsfrust und Beziehungsfreuden, aber auch handfesten Gesellschaftsthemen.

Die Zeile "The water may rise again but we shall set sail" im zweigeteilten Titelsong betrifft den Klimawandel, "Forefathers and mothers we never forget/Still fighting the fight, not giving up yet" zweifellos die amerikanische Bürgerrechtsbewegung. Zu Ende geht das Album mit "Authentic", einem leidenschaftlichen Plädoyer für Gemeinschaftssinn, im Rahmen der Familie, der Nachbarschaft und darüber hinaus, hinweg über jegliche nach wie vor vorhandenen Rassenvorurteile. Für die North Mississippi Allstars kein Lippenbekenntnis. Die Band um Cody und Luther Dickinson versteht sich als offene Beziehung in wechselnder Besetzung. Derzeit als Neumitglied adoptiert, Lamar Williams Jr., Sohn von Lamar Williams, ehemals Bassist der Allman Brothers. Papa Jim Dickinson, 2009 verstorbene Produzentenlegende, wäre stolz auf seine Jungs.

Das Frontcover zu "Set Sail" stammt von Walter Anderson, einem Maler und Schriftsteller, geboren in New Orleans. Wohin auch das funky Schlagzeugspiel in "Bumpin'" und "Juicy Juice" verweist. Bei Dr. John oder The Meters wurden die Felle in den Siebzigern ganz ähnlich bearbeitet.
BG/TM


North Mississippi Allstars
"Set Sail"
(New West; 1.4.2022)


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Foto: Jason Thrasher

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