|   Rezension

North Mississippi Allstars

Up And Rolling

(New West/PIAS)

Der Vater der beiden Bandgründer war kein Geringerer als Jim Dickinson, bekannt durch seine Sessiontätigkeit für die Rolling Stones oder Bob Dylan sowie als Produzent von unter anderem Big Star, Green On Red und The Replacements. Ein familiärer Hintergrund, der ungeheuer Eindruck macht und sicherlich prägend war. Mindestens ebenso sehr wie Daddys Kontakte in die hochherrschaftliche Rockwelt aber, ist den Söhnen die Lebenswelt der Eltern im Mississippi Delta eine Orientierung gewesen. Mit jeder Schallplatteneinspielung der North Mississippi Allstars bringen Luther und Cody Dickinson ihre Kinderstube zum Klingen.

Das Hill Country ist eine Hügellandschaft im Norden des Mississippi Deltas kurz vor Memphis. Zu unwegsam die Gegend für eine Intensivlandwirtschaft wie weiter südlich im Flachland und deshalb großzügig den Schwarzen zur Bewirtschaftung überlassen. Mit dem famosen Nebeneffekt, dass im Hill Country deutlicher als anderswo afrikanische Musikelemente erhalten geblieben sind, in Gestalt der Drum & Fife-Tradition sogar das nach Ansicht von Bluesexperten überhaupt stärkste Afrikabindeglied überdauern konnte, prominent vertreten durch Othar Turner und seine Rising Star Band.

Jim Dickinson, Sohn eines Rechtsanwalts aus Little Rock, Arkansas, aufgewachsen in Chicago und Memphis, lebte mit den Seinen im Hill Country auf halber Strecke zwischen Holly Springs und Coldwater unter ähnlichen Umständen wie die Mehrheit der schwarzen Bevölkerung, ohne jeglichen Komfort. Zum Freundeskreis der Familie zählte beispielsweise Othar Turner, dessen Signatursong "Shimmy She Wobble" sich bei den North Mississippi Allstars als Titelsong ihrer Debüt-EP wiederfindet. Danach ist der Bluesveteran an weiteren Schallplattenproduktionen beteiligt, entweder als Flötenspieler oder Songschreiber. Sein "Call That Gone" eröffnet jetzt auch "Up And Rolling". Mit dem Unterschied, dass Sharde Thomas, Othar Turners Enkeltochter, vom Großvater selbst noch angelernt, Flöte spielt und sowohl dort als Sängerin in Erscheinung tritt als auch später bei "Peaches", einem trägen Bluesrocker, der die feuchte Schwüle der Frühsommerabende im Mississippi Delta einfängt.

"Living Free" zum Thema Bürgerrechte, wieder mit Sharde Thomas als zweite Stimme, ist ein Schwestersong zu "What You Gonna Do?", aus dem Repertoire der Staples Singers, mit Mavis Staples als Gastsängerin, deren Vater auf der Dockery Farm unweit von Cleveland, Mississippi von Charley Patton das Gitarrenspiel erlernte.

An "Out On The Road" sowie der Gospelhymne "Take My Hand, Precious Lord" ist Cedric Burnside beteiligt, Enkel von RL Burnside aus Holly Springs, dessen Sohn Duwayne Burnside zu Beginn festes Mitglied der North Mississippi Allstars war. "Mean Old World" wiederum mündet in ein ausuferndes Gitarrensolo im Stil der Allman Brothers. Die hübsche Fußnote hier ist, dass Duane Betts, Sohn von Duane Allmans Gitarrensparringpartner Dickey Betts als Gastgitarrist mitwirkt, während Gastsänger Jason Isbell überzeugend den Gregg Allman gibt. Dass im Titelsong zu "Up And Rolling" gewissen bewusstseinserweiternden Substanzen der Hippies gehuldigt wird, mag daher rühren, dass es Hippies gewesen sind, die den Blues zurück nach Memphis brachten, nach engagierter Vorarbeit durch die Rolling Stones, Animals oder Yardbirds selbstverständlich. Vom 1968er Memphis Blues Festival konnte Papa Dickinson jedenfalls nicht genug schwärmen. Grundsätzlich wirkt "Up And Rolling" bodenständiger, folkhafter. Das völlige Gegenteil zum grandiosen "World Boogie Is Coming" von 2013, wo das Quellenmaterial in weitaus verarbeiteter Form vorliegt.
Bernd Gürtler/TM


North Mississippi Allstars
"Up And Rolling"
(NewWest; 4.10.2019)


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Foto: Jason Thrasher

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