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Mark Lanegan: Sangesfreudiger Schattenmann

Als Stimmungskanone hätte Mark Lanegan nicht annähernd eine Chance. Der Amerikaner mit dem johnnycashigen Bassbariton grummelt vorzugsweise Textzeilen wie "Wild Thing/See the man up on the gallows swing/See the creature walking through the weeds/In a garden growing from evil seeds". Der Song dazu heißt "Death's Head Tattoo" und eröffnet sein sicherlich auch nicht zufällig "Gargoyle" (PIAS) benanntes Album von 2017.

Gargoyles sind Wasserspeier, die an gotischen Sakralbauten dafür sorgen, dass ablaufendes Regenwasser vom Mauerwerk ferngehalten wird. Fantasy-Autoren lassen die architektonischen Zweckelemente von zumeist furchteinflößender Gestalt manchmal des Nachts ein Eigenleben entwickeln und brave Bürger erschrecken.

Von Mark Lanegan kennt man es nicht anders. Gewandelt hat sich höchstens der musikalische Ausdruck. Sein Solodebüt "The Winding Sheet" von 1990 bemüht noch den Grunge Rock der Screaming Trees, deren Mitbegründer er war. Eine Coverversion von Leadbellys "Where Did You Sleep Last Night", eingespielt mit Kurt Cobain als Gastgitarristen deutet allerdings bereits an, dass es ab Soloalbum Nummer zwei "Whiskey For The Holy Ghost" zunächst mit Blues und Folk weitergehen wird.

2001 auf "Field Songs" finden sich arabische Einflüsse eingearbeitet, teils sind die Strukturen experimentell. "Bubblegum", mit Gastbeiträgen von PJ Harvey, den beiden Queens Of Stone Age-Mitgliedern Josh Homme und Nick Oliveri beziehungsweise Greg Dulli von ehemals The Afghan Whigs, bringt 2004 den Rock zurück. "I'll Take Care Of You" von 1999, sowie das 2013er "Imitations" sind Coveralben mit Material aus dem Repertoire von Tim Hardin, Buck Owens, Jeffrey Lee Pierce, Andy Williams oder Nancy & Frank Sinatra. Nicht zu vergessen die drei Duoeinspielungen mit der kapriziösen Belle & Sebastian-Sängerin Isobel Campbell.

Spätestens 2014 bei "Phantom Radio" ändert sich die Richtung erneut. Songzeilen wie "Smelling the incense of the perfume of your blood" werden plötzlich von der Schlagzeugcomputer-App FunkBox begleitet, die Mark Lanegan zufällig auf seinem iPhone fand. Seither gehört elektronisches Equipment zur Grundausstattung. "Gargoyle" bringt die Sache höchstens noch perfekter auf den Punkt. "Parts of it sound like it was cut in a baroque Mancunian church without heating in winter '82", schwärmt das britische Mojo Magazine und findet, nicht besser hingekriegt hätte es Produzentengenie Martin Hannett, verantwortlich für solche Factory-Records-Artisten wie Joy Division, New Order oder Happy Mondays. Später in "Emperor" entdecken britische Rezensentenkollegen sogar ein Vaudeville-Element wie bei den Kinks. Ein echtes Meisterwerk die Scheibe.

Aber es geht noch besser, wer hätte es gedacht! "Somebody's Knocking" (PIAS) vom Herbst 2019 übertrifft so ziemlich alles. Wieder lässt die Manchesteraner Factory-Schule grüßen, deutlich hingedreht jetzt zu Depeche Mode beziehungsweise Disco. Und könnte es sein, dass sich etwas Versöhnliches eingeschlichen hat in seine Songs? Immerhin heißt es in "Gazing From The Shore", er sei "a sailor lost in the storm." Aber jetzt hätte "somebody lit a light to find my way." Zu wünschen wäre es dem sangesfreudigen Schattenmann, dass ihm jemand heimleuchtet. Bei seiner Biographie!

Der Fünfundfünfzigjährige, geboren in Ellensburg, Washington ist in einer zerrütteten Working-Class-Familie aufgewachsen, mit achtzehn den Drogen verfallen und deswegen mehrmals hinter Gittern beziehungsweise in Entzugseinrichtungen gelandet. Bei einem Ernteunfall auf einer Farm in Washington wird er von einem Traktor überrollt, das lädiert ihm das Bein. Bei den Screaming Trees startet er als Schlagzeuger, ist aber so beklagenswert schlecht, dass ihm die Sängerposition übergeholfen wird. Kurt Cobains Selbstmord 1994 macht ihm schwer zu schaffen, die beiden kannten sich gut. Jahre danach erneut drogenabhängig geworden, gelingt es schließlich irgendwie doch loszukommen. Mark Lanegan kann sogar Greg Dulli aus dem Drogensumpf retten. Gemeinsam spielen sie als The Gutter Twins 2008 das Album "Saturnalia" ein.
Bernd Gürtler SAX 11/19 


Mark Lanegan
"Gargoyle"
(PIAS; 26.4.2017)


Mark Lanegan
"Somebody's Knocking"
(PIAS; 18.10.2019)


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Foto: Travis Keller
Foto: Travis Keller

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