|   Rezension

Fat White Family

Serfs Up!

(Domino)

Hypnotisch, gespenstisch, gut. Wie eine illegale Giftmülldeponie im Naturschutzgebiet. Der Hörer, der die Sauerei zufälligerweise entdeckt und einem spontanen Fluchtimpuls gehorchend schnellstmöglich weg will vom Ort des Geschehens, wird öfter einen Blick hinter sich werfen, arg in Sorge, die glibberigen Fangarme irgendeiner fiesen Geschöpfmutation könnten nach ihm greifen.

Die apokalyptischen Reiter, die hier das baldige Weltenende verkünden, fanden 2011 im Londoner Stadtteil Peckham zusammen. Zumindest auf Sänger und Hauptsongschreiber Lias Saoudi sowie Saul Adamczewski, den Leadgitarristen mit der imposanten Zahnlücke trifft zu, dass sie sich ihrem Thema nicht aus der Distanz einer gesicherten Kleinbürgerexistenz nähern.

Verschiedene im Weltnetz verifizierbare Interviewclips deuten darauf hin, dass sie das sind, was der Bandname andeuten will. Britischer White Trash, unterste Schublade der Gesellschaftshierarchie. Dort zu Hause, wo die Obdachlosen, die Junkies, die Gescheiterten und Abgeschriebenen anzutreffen sind. Menschen wie der Ex-Soldat und Sozialhilfeempfänger David Clapson, dem vom Amt aus lapidaren Gründen die Stütze gestrichen worden war. Er starb 2014 an Unterernährung und unsachgemäß gelagertem Insulin; da er auch seine Stromrechnung nicht mehr bedienen konnte, fiel sein Kühlschrank aus. Sein Schicksal entfesselte einen Sturm der Entrüstung, der bis heute nachhallt. Auf ihn bezog sich "Tinfoil Deathstar" vom Vorgängeralbum "Songs For Our Mothers".

Eingespielt im nordenglischen Sheffield unter Mitwirkung des Moonlandingz/Add-N-To-(X)-Produzenten Dean Honer, ist "Serfs Up!" das dritte Vollelängealbum der Fat White Family. Changierend zwischen Krautdisco, Funkpunk, Elektro-LoFi und Glamrockgebimmel berichten die zehn Songs vom entsetzlichen Grauen des Kriegs ("Feet"), von skrupelloser Umweltzerstörung ("Tastes Good With The Money").

Hoffnung keimt höchstens aus den Ideen des zu lebenslanger Haft verurteilten Unabombers Ted Kaczynski ("I Believe In Something Better"). Selbst die Fleischeslust ist der Gattung Mann zum Verhängnis geworden ("Vagina Dentata").

Die phonetische Nähe des Albumtitels zum "Surf's Up!" der Beach Boys dürfte kein Zufall sein. Das bis dahin höchstens verschrobene, ansonsten stets nette, umgängliche Gesangsensemble von den Sonnenstränden Kaliforniens wollte 1971 ebenfalls eine Zäsur setzen und andeuten, dass die Zukunft ungemütlich wird. Die Fat White Family geht noch einen Schritt weiter, indem sie die Verdammten dieser Erde, eben die Serfs, die Leibeigenen zum letzten Gefecht ruft.
Bernd Gürtler/TM


Fat White Family
"Serfs Up!"
(Domino; 19.4.2019)


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Foto: Sarah Piantados

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