Besonders "What's It Gonna Take" von 2022, das vierte der gesellschaftskritisch konnotierten Alben jüngerer Vergangenheit nach "The Prophet Speaks", "Three Chords & The Truth" und "Latest Record Project, Volume 1", geriet vor dem Hintergrund der Coronapandemie zur Generalmobilmachung. Was hat er geschimpft auf die Medien, die mit den Politikern, den Medizinern unter einer Decke stecken, einzig darauf aus, ihn, den freien Bürger, hinters Licht zu führen und in seinen individuellen Freiheitsrechten einzuschränken. Welch abenteuerliches, wissenschaftsfeindliches und unfassbar egoistisches Weltbild, schallt es ihm seitens der Musikkritik entgegen.
Das damals war noch gar nicht sein erster Ausrutscher, "Inarticulate Speech Of The Heart" von 1983 widmet Van Morrison Sektengründer L. Ron Hubbard. Hauptsächlich wegen des Titels wird das übernächste Nachfolgealbum "No Guru, No Method, No Teacher" als Kurskorrektur gewertet. Ähnliches lässt sich jetzt wieder mutmaßen. Mit "Moving On Skiffle" veröffentlicht Van Morrison ein Tributealbum an sein Idol Lonnie Donegan, mit "Accentuate The Positive" Coverversionen von Klassikern des Rhythm & Blues, mit "Beyond Words" beziehungsweise "New Arrangements And Duets" Kopplungen von Instrumentals sowie Neueinspielungen ausgewählter Songfavoriten des Backkatalogs.
"Remembering Now" kehrt zurück zu seinen grüblerischen Jazzmeditationen, für die er seit "Astral Weeks" berühmt ist. Während der Eröffnungssong "Down To Joy" bekundet, er wolle sich ab sofort einer "Brand new story" widmen, beteuert "Haven't Lost My Sense Of Wonder", das Staunenkönnen sei ihm nie abhandengekommen, "Even though things don't seem to be working out/Even though there's so much doubt/But when the feeling hits you/Baby that’s what it's all about".
Die routinierte Umsetzung freilich wirft die Frage auf, wie glaubwürdig seine Läuterung ist, falls überhaupt an Läuterung gedacht war. Ein über den eigenen Videokanal auf YouTube verbreitetes Interview zu "Remembering Now" liefert leider auch keine brauchbaren Hinweise, weil sich sein Interviewgegenüber in unterwürfiger Demut befleißigt. Denkbar, dass dem Belfast Cowboy in seiner Künstlerblase wirklich bloß jemand fehlt, der ihm erklärt, worin das richtige Leben besteht.
Bernd Gürtler/TM
Van Morrison
"Remembering Now"
(Exile/Virgin; 13.6.25)
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