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Hallam London: Bereit für die großen Bühnen

Weltgewandt vom Scheitel bis zur Sohle, das Album könnte genauso einer der Megametropolen des uns bekannten Populärmusikuniversums entsprungen sein. Nun trifft es zwar zu, dass Schlagzeug und einige Instrumentalparts in Großbritannien eingespielt wurden, auch die englischen Songtexte verfasst von einem Muttersprachler. Ausgetüftelt aber hat ein Dresdner "Be Yourself In 11 Easy Lessons", in seinem Miniprobenraum am Ort. Hallam London heißt der kreative Kopf hinter den Songs, die mehr wollen, als bloß ganz vorn mitzumischen, wie die Interviewverabredung ergab.

Das Presseinfo zu "Be Yourself In 11 Easy Lessons" nennt als Referenzgrößen die Beatles, David Bowie, Radiohead oder Arctic Monkeys.
Bei mir ist es definitiv so, dass die Musik, die ich höre, nicht spurlos an mir vorübergeht. Die Beatles begleiten mich seit meiner Jugend, Radiohead auch schon eine Ewigkeit. Die Arctic Monkeys gefallen mir als Vertreter des neueren Indie-Rocks.

Die britischen Kollegen sind Orientierung, Anregung, Inspiration. Du gehst nicht davon aus, dass du in derselben Liga antrittst?!
Doch! Sicher, die Beatles bleiben unerreicht. Ich erinnere mich an ein Foto mit der Bildunterschrift "Sorry Jungs, dass wir die Latte so hoch gehängt haben", das fand ich treffend. Aber ich fühle mich bereit für die großen Bühnen, meine Songs gehören dorthin.

Dann ein weiterer Vergleich aus dem Premiumsegment. Ähnlich Elton John, der Bernie Taupin als Librettisten an seiner Seite hatte, sind deine Songtexte von Ian Badcoe geschrieben, einem Poeten aus Sheffield. Warum, um auf den großen Bühnen bestehen zu können?
Nein, jedenfalls nicht nur, mir gefällt Englisch als Musiksprache einfach besser. Ich höre auch Deutschsprachiges und kann das mögen. Persönlich liegt mir das Englische näher. Mir selbst würde ich aber auch keine Texte auf Deutsch schreiben, weil ich mich nicht zum Textschreiber berufen fühle. Texteschreiben dauert bei mir wahnsinnig lange und selten kommt Brauchbares dabei heraus. Auch wenn ich auf Deutsch singen würde, würde ich einen Texter, eine Texterin bemühen.

Wie habt ihr zusammengefunden, Ian Badcoe und du?
Über ein Internetforum britischer Poeten, wo sie ihre Gedichte ein-stellen und sich gegenseitig Feed-back geben. Ich bin durch Zufall darauf gestoßen und hinterließ die Nachricht, dass ich für meine erste EP "The Winter" und mein Debütalbum "Not Afraid Of Greatness" Shakespeare-Sonette vertont hatte, jetzt aber gern mit einem lebenden Dichter, einer Dichterin zusammenarbeiten würde. Es dauerte ein halbes Jahr, bis eine Rückmeldung kam, die gar nicht von Ian war, aber dadurch ploppte das Thema wieder auf. Er schickte mir dann einen Gedichtzyklus, den ich großartig fand. Nach wie vor schwebt mir im Hinterkopf, dass ich das Material irgendwann auch noch vertonen will.

Was ist das Besondere an Ian Badcoes Songlyrik?
Seine Sprache fällt auf. Ich hatte mich vorher umgeschaut im Netz und war auf Websites gestoßen, wo Texte zum einzigen Zweck der Vertonung eingestellt werden. Das wirkte aber alles ungemein banal, selbst für mich als Nichtmuttersprachler. Ian hat einen Ton, der berührend, aber auch humorvoll sein kann, ohne ins Comedyhafte abzurutschen.

Eventuell ein Beispiel vom Album?
"Methodology Of Love" vielleicht. Humor lässt sich schlecht erklären, aber es handelt sich um ein Liebes-lied, das zu ergründen versucht, was Liebe ist. Eine Wissenschaft? Eine Kunst? Keins von beiden oder ganz etwas anderes? Im Chorus geht es jeweils darum, dass, wenn du mit deinem Raumschiff auf dem Mars landest, schon die Große Kraft auf dich wartet und dir eine Tasse Tee anbietet. Großartig!

Stichwort Raumschiff, Weltraum. "Walking To Alpha Centauri" be-trifft dasselbe Themenfeld und "To The Sky" enthält die Textstelle "Put my helmet on", was eine Hommage an David Bowie und dessen Megahit "Space Oddity" sein dürfte?!
Richtig, "To The Sky" hatten wir bereits 2016 in einer anderen Version veröffentlicht, kurz, nachdem David Bowie gestorben war. Ich hatte kurz zuvor "Black Star" gehört, sein letztes Album zu Lebzeiten und war begeistert. "Walking To Alpha Centauri" handelt davon, dass man eine Reise antritt, Wegstrecken zurücklegt, die einem vorkommen wie die Überwindung von Distanzen zu Lichtjahre entfernten Planeten, aber man kann nicht vorhersehen, wohin es einen führt. Man stellt Dinge in Frage, um Neues auszuprobieren, was schiefgehen kann.

Gehaltvolle Gedanken, aber laut Albumtitel will "Be Yourself In 11 Easy Lessons" eben auch eine Anleitung zur Selbstfindung sein.
Das kann man mit einem Augen-schmunzeln so sagen. Ian Badcoes erster Vorschlag für den Albumtitel war "Be Yourself". Da gingen bei mir die Alarmglocken an, was Ian gar nicht verstehen konnte, weil das ein Phänomen insbesondere aus der deutschen Popmusik ist. Dass seit Jahren solche Befindlichkeitsmusik läuft im Sinne von 'Glaube an dich, sei du selbst', 'Du schaffst das, du musst es nur wollen'. Das sind unsere Songs beim besten Willen nicht. Trotzdem liegt allem ein tieferer Sinn zugrunde, gerade was Themen wie Identität oder Gender angeht, weil uns das beide betrifft. Was bist du als Mensch in deiner Persönlichkeit, deinem Geschlecht, deiner Sexualität? Sowohl für mich als auch Ian spielt das eine Rolle.

Inwiefern?
Bei mir, weil ich schwul bin, was selten ein Problem ist, aber Fragen aufwirft. Das beginnt in der Jugend, wenn man sich dessen bewusst wird. Man fragt sich, stimmt das, fühle ich nicht irgendetwas Komisches? Man versucht sich zu verbiegen, bis man sich eingesteht, dass es ist wie es ist. Dann steht man vor dem nächsten Schritt, das nach außen zu kommunizieren. Viele vermeiden das, bei allen Fortschritten die es gab seit meinem eigenen Coming Out, als ich das erste Mal händchenhaltend mit einem Mann durch die Stadt gelaufen bin. Damals drehten sich viel mehr Menschen nach uns um als heute, trotzdem ist das längst nicht ausgestanden. Für Jugendliche, die das heute betrifft, ist es nicht leichter geworden. Es gibt nach wie vor Gewalt gegenüber LGBTQ-Menschen. Insofern ist das ein Thema für mich, ohne, dass ich mich ausschließlich darüber definiere. Bei Ian weiß ich nicht, ob ich offen darüber sprechen darf, ich müsste ihn fragen.

Ein Interneteintrag von ihm vermerkt "he/they".
Dann ist alles gesagt.

Dein Song "Identity" betrifft vermutlich die Identitätsthematik!
Ja, wobei es nicht nur um Gender und sexuelle Orientierung geht. Es existieren verschiedenste Varianten des menschlichen Daseins, die abseits der gesellschaftlichen Normen liegen, was es den jeweiligen Menschen schwer macht, sich zurechtzufinden. Das kann eine Geschlechtsidentität sein, eine Sexualität, aber auch eine Behinderung, Dinge, die es einem schwer machen, den eigenen Weg zu finden. "Hey Changeling" geht in dieselbe Richtung. Changeling, der Wechselbalg zu Deutsch, ist als Bild zu verstehen für das Hineingeworfensein in eine Umgebung, die vielleicht nicht unbedingt feindlich gesinnt ist, die Betroffenen aber das Gefühlt vermittelt, nicht richtig dazuzugehören. Der Song fragt, wo will ich sein? Gibt es vielleicht noch etwas anderes für mich?

Neben deinen Songs schreibst du Theatermusik.
Richtig, ein Element in meinem kreativen Schaffen, das mich vor einiger Zeit aus einer tiefen Krise geholt hat. Ich war wirklich so weit, die Musik an den Nagel zu hängen, obwohl bereits neue Songs geschrieben waren. Aber dann kam eine damals noch ferne Bekannte, Carola Söllner, auf mich zu und fragte, ob ich für eine Theaterinszenierung zu Oscar Wilde die Musik schreiben wolle. Sie hatte mein Shakespeare-Album und die EP gehört und fand die toll. Manchmal braucht es kleine Anstöße von außen, die eine große Wirkung entfalten und einem sagen, was du tust ist vielleicht doch nicht so verkehrt. So hat sich das entwickelt. Es gab noch ein anderes Projekt mit einer Freundin, ein Laientheaterstück. Die größeren Sachen entstehen mit Carola Söllner. Sie ist eine hervorragende Regisseurin. Die Zusammenarbeit macht unglaublichen Spaß, weil es eine völlig andere Aufgabe ist, als Songs zu schreiben.

Am Klingelschild deiner Wohnung steht nicht Hallam London sondern dein bürgerlicher Name. Warum das Künstlerpseudonym?
Das ist meine Künstleridentität. Unter meinem bürgerlichen Namen bin ich früher mit anderer Musik unterwegs gewesen, habe in Musicalproduktionen Gitarre gespielt, habe Unterhaltungsmusik gespielt. Das musste ich beenden, für mein Seelenwohl, ich brauchte etwas anderes. Deshalb vollzog ich einen radikalen Schnitt, ich sagte mir, ich muss neu anfangen. Als Hallam London bin ich der Künstler, ansonsten der Privatmensch, der ein 'gewöhnliches' Privatleben führt.

Warum Hallam London?
Begegnet ist mir der Name das erste Mal in der Verfilmung des Peter-Jenkins-Romans "Hallam Foe – This Is My Story". Ich wollte einen Namen, der sich gut anhört und anfühlt.
Bernd Gürtler SAX 9/23


Hallam London
"Be Yourself In 11 Easy Lessons"
(No Label; 29.9.23)


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Foto: Arka Gope
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Foto: Blicklicht Photographie
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