Mitte der neunziger Jahre, Elmer Rabes ist fünfzehn und noch im thüringischen Saalfeld zu Hause, kommt er in Berührung mit Punkrock und Hardcore. Kumpels, älter als er und bereits Besitzer eines fahrbaren Untersatzes, nehmen ihn mit nach Schleiz, Weimar oder Erfurt zu Konzerten in AJZs und besetzten Häusern. Nach seiner Erinnerung gab es auch schon Bandprojekte von Freunden, Demokassetten lagen vor, vervielfältigt in Heimarbeit und versehen mit handkopierten Einlegern.
"Aber eine CD aufzunehmen, das war etwas Besonderes, und es stand die Frage, wie finanziert sich das. An der Stelle kam ich ins Spiel. Ich hatte etwas Geld flüssig, durch meine Ausbildung, und konnte mir von meiner Familie etwas leihen, das war bei mir weniger problematisch. Also finanzierte ich die CD und geriet dadurch in eine Labelposition, ohne zu wissen, was das eigentlich bedeutet. Wir dachten uns sogar einen neuen Namen für die Band aus, die bis dahin Consense hieß. Anlässlich der CD benannte sie sich um in Heaven Shall Burn und ist eine nach wie vor aktive, große deutsche Metalformation. Das war mein Glück, dass ich mit einer schnell wachsenden Band loslegen konnte. Dadurch war der Kapitalrückfluss gesichert, so dass ich sofort in neue Projekte investieren konnte. Genaugenommen ist mein Label aus einem Gefallen heraus entstanden, und dann entwickelte das Ganze eine Eigendynamik."
Bandmitglieder aus den Bereichen Punkrock und Hardcore, sollte sich nämlich zeigen, pflegen eine Zweitvorliebe und sind Anhänger einer Stilistik, die seit den neunziger Jahren unter der Bezeichnung Americana zum Begriff wurde. Als Wegbereiter gelten Uncle Tupelo, die in Belleville, Illinois gegründete Band um Jeff Tweedy und Jay Farrar, aus der Wilco sowie Son Volt hervorgingen. Elmer Rabes gefällt der Trend weg von härteren Gangarten, überdenkt die Ausrichtung seines Labels und den Labelnamen gleich mit.
Deeds Of Revolution Records heißen ab sofort Hometown Caravan, wegen seiner Naturverbundenheit und eines romantischen Freiheitsgedankens, vermutet er. "Ich bin gern draußen, gehe gern angeln und eine meiner Lieblingsbands, Chamberlain aus Indianapolis, Indiana, hatten auf dem Frontcover ihres Debütalbums 'Fate's Got A Driver' einen Wohnwagen abgebildet, im Hintergrund ein Sonnenuntergang. Ich weiß noch, das war eine Zeit des Umbruchs, ich übernachtete bei meiner Großmutter auf der Couch, weil ich dabei war mir was Eigenes auszubauen. Auf dem Heimweg nachts von einem Konzert ploppte diese Namenskombination aus, Hometown Caravan. Ich dachte, das fühlt sich an, als könnte das bleiben."
2002 schließlich Umzug nach Dresden, aber an eine Kooperation mit K&F Records längst noch nicht zu denken. "Witzigerweise veröffentlichten wir ein ähnliches Repertoire, ohne voneinander zu wissen. Irgendwann wussten wir voneinander, kannten uns aber nicht. Ich bin eher menschenscheu, besuchte aber im Ostpol ein Konzert von The Gentle Lurch, der Band von Lars Hiller und war begeistert. Im Anschluss gab ich mich zu erkennen. Ach Mensch, cool, jetzt sieht man sich endlich mal, hieß es. So ungefähr ging das los."
Endgültig übergesprungen ist der Funke bei einem gemeinsamen Ausflug mit Lars Hiller, auch er ein leidenschaftlicher Angler. "Wir sind nach Pratzschwitz gefahren, haben nichts gefangen, konnten uns aber intensiv austauschen, was eigentlich wer macht, welche Gemeinsamkeiten, welche Überschneidungen bestehen. Wir waren überrascht, wie lange wir in ein und derselben Stadt nebeneinander arbeiten konnten, ohne uns über den Weg zu laufen. Danach wurde es ganz schnell mehr. Ich bewarb mich um einen Schreibtischplatz im K&F-Büro in der Groovestation, wo wir heute noch sind, und die Bewerbung wurde angenommen."
Nicht nur veröffentlicht Elmer Rabes das Debütalbum von The Gentle Lurch auf Vinyl, er wird Zeuge des ersten Zusammentreffens mit Wayne Graham. "Mit seiner Frau, sie hatte eine befristete Anstellung an der Universität von Columbus, Ohio, ging Lars für ein Jahr nach Amerika. Er fand, seine Labelarbeit könnte er auch von dort erledigen und Kontakte knüpfen. Ronny Wunderwald, Schlagzeuger bei The Gentle Lurch, und ich besuchten Lars. Tatsächlich hatte er drei Konzerte für seine Band buchen können."
Keine der Veranstaltungen erlebt nennenswerten Publikumszulauf, aber in Columbus, Ohio treten The Gentle Lurch gemeinsam mit Hello Emerson auf, inzwischen mit zwei Alben auf K&F vertreten.
Und in Nashville, Tennessee schauen Wayne Graham vorbei, neugierig auf die Deutschen, mit denen sie einen Auftritt am darauffolgenden Abend in Louisville, Kentucky bestreiten. "Sie eröffneten die Show als Duo, Gesang und Gitarre, beziehungsweise Schlagzeug, und es war umwerfend! Sofort im Anschluss überlegten wir, was zu tun sei. Kenny und Hayden Miles schickten dann dreißig Songs, teils Demos, teils als fertige Produktionen und jeder besser als der andere." Elf der Stücke erschienen 2016 auf "Mexico", Wayne Grahams Debütalbum auf K&F Records sowie Hometown Caravan. Um die sechzig Vinyltonträger schlagen auf Elmer Rabes eigenem Label inzwischen zu Buche, viele davon keine Parallelveröffentlichungen zu K&F, darunter Alben von Digger Barns, Austin Lucas, Chuck Reagan oder Chamberlain.
Bernd Gürtler SAX 12/22
Hometown Caravan im Netz
Website | Bandcamp | Facebook | Instagram
Elmer Rabes Hometown Caravan Top Ten
Chamberlain: "Hey, Louise"
Wayne Graham: "Fellow Man"
Digger Barnes: "The River"
The Gentle Lurch: "Nesting"
Rocky Votolato: "Alabaster"
Garda: "Black"
Austin Lucas: "Kith And Kin"
Drag The River: "Remember Now"
The Green Apple Sea & Wayne Graham: "Dark Kid (Ep1)"
The Coloradas: "Maxine"