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Aus lauter Liebe: "Hamburg Calling – Punk, Underground & Avantgarde 1977-1985" heißt eine Buchpublikation zur Rocksubkultur der Hansestadt

Das Grün und das Rot vorn auf dem Bucheinband, ungefähr derselbe Farbton wie im Schriftzug vom Frontcover zu The Clashs "London Calling", dessen Covergestaltung sich wiederum auf Elvis Presleys Debütlangspielplatte aus dem Jahr 1956 bezog. Eine ziemliche Traditionslinie wird hier aufgemacht, aber eben mit vollster Berechtigung. "The Cradle Of British Rock" war im Untertitel eine Buchpublikation aus den Neunzigern benannt, die der immensen Bedeutung Hamburgs für Beatles & Co nachgeht.

Die Hansestadt, besser noch ihr verruchtes Vergnügungsviertel um die Reeperbahn, bot britischen Bands seinerzeit einen einzigartigen Entfaltungsraum, der sie herausforderte und heranwachsen ließ. Unter den Zeitzeugen, die jetzt für "Hamburg Calling" befragt wurden, ist es einzig Bernd Begemann, der näher auf das rockhistorische Erbe eingehen wollte. Weshalb die anderen nicht? Wissen sie nichts darüber? Ist es ihnen schnurzegal? Wohl kaum, sie sind bloß einfach viel zu beschäftigt gewesen, um auch nur einen Gedanken an die glorreiche Vorgeschichte zu verlieren. Denn während Hamburg zu Beginn der sechziger Jahre überwiegend nach außen wirkt und zunächst selbst eher Nachahmer wie die Rattles von Achim Reichel hervorbringt, wirkt die Stadt ab 1977 nach innen.

Angetriggert durch den Do-It-Yourself-Gedanken des angloamerikanischen Punkrock, werden Zaungäste zu Akteuren, die Hamburg für weit mehr als ein Jahrzehnt zum Hotspot für Underground und Avantgarde ausbauen. Noch vor Düsseldorf mit seinem Dunstkreis um Joseph Beuys, die Kunstakademie und den Ratinger Hof. Noch vor Westberlin, obwohl nahezu zeitgleich David Bowie seinen Lebensmittelpunkt vorübergehend dorthin verlegt und sein damaliger Mitstreiter Brian Eno für die gemeinsamen Alben "Low" beziehungsweise "Heroes" Anregungen bei den Krautrockkoryphäen Cluster und Harmonia ablauscht.

Den Einstürzenden Neubauten, gegründet 1980 in Westberlin, gelingt dennoch der Durchbruch erst über einen heute legendären Auftritt in der Markthalle Hamburg und dank ZickZack Schallplatten, dem einzigen Label, das anfangs überhaupt gewillt war, ihren Brachialsound zu veröffentlichen. Beides, das Bühnenereignis und die Plattenfirma, auf die Beine gestellt durch Alfred Hilsberg, Hamburgs Spielmacher jener Rocksubkultur. Sein Name schwingt mit, egal wer für "Hamburg Calling" interviewt wird, ob Schallplattenhändler, Musikverleger und Filmproduzent Klaus Maeck, Frank Z von Abwärts, Andreas Dorau, Timo Blunck von Palais Schaumburg, Anja Huwe von X-Mal Deutschland oder Schorsch Kamerun von den Goldenen Zitronen. Das Beste aber ist das Fotomaterial. Mal einen Blick werfen auf die ganz jungen The Clash? Die ganz jungen Talking Heads, die ganz jungen U2? Oder die Toten Hosen als sie sich noch ZK nannten? Dann in diesem Buch blättern. Und im überwiegenden Fall der Fälle wird man als Quelle Sabine Schwabroh genannt finden, eine Fotografin aus dem engeren Umfeld von Alfred Hilsberg. Sie ist fast immer am Ort des Geschehens gewesen. Ein faszinierendes Zeitdokument, zusammengestellt von den beiden Hamburger Journalisten Alf Burchardt und Bernd Jonkmanns mit derselben Hingabe, die ein von Jaeki Eldorado betriebener Hamburger Schallplattenladen aufbrachte, der sich "Aus lauter Liebe" nannte.
Bernd Gürtler SAX 3/21


Alf Burchardt, Bernd Jonkmann: "Hamburg Calling-Punk, Underground & Avantgarde 1977-1985" (Junius Verlag; 2021)

 

Foto: Sabine Schwabroh
Foto: Weser Label

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