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Aufgestöbert: Die "Aladin Tapes" von Kraan

Die Aladin Music Hall galt zu ihren Glanzzeiten als erste Adresse unter den Rockveranstaltern der Hansestadt Bremen. Ebendort sind im März 1980 Kraans "Aladin Tapes" entstanden. Dem Konzertmitschnitt werden später weitere Veröffentlichungen aus dem Kosmos der Jazzkrautrocker folgen, ergab die telefonische Interviewnachfrage bei Hellmut Hattler.

Wo genau standen Kraan in ihrer Entwicklungsgeschichte zum Zeitpunkt der "Aladin Tapes"?
Nach "Wiederhören" wollten wir eine Pause einlegen, die Band war mehr oder weniger aufgelöst. Bei mir standen Reisen an, nach Südostasien, nach Amerika. Irgendwann meldete sich Peter Wolbrandt und meinte, er hätte jede Menge neues Material. Das hatte ich auch, weshalb wir beschlossen, es wieder anzugehen. Aus den Sessions ging "Flyday" hervor, eingespielt als Duoprojekt im Studio von Conny Plank. Wir sind fast fertig gewesen, als uns auffiel, dass Peters Gitarre und sein Gesang zusammen mit meinem Bass etwas wenig war. Deshalb wurde Keyboarder Ingo Bischof hinzugezogen. Bei den letzten beiden Stücken fehlte uns ein Schlagzeuger. Ich rief Udo Dahmen an, der zur Tourformation meines Soloprojekts "Bassball" gehörte, er rundete "Flyday" perfekt ab. Das Album wurde veröffentlicht und bekam ganz hervorragende Kritiken, so dass das Management fragte, Leute, wollt ihr nicht auf Tour gehen und das Album promoten? Peter verspürte wenig Lust, Ingo umso mehr. Die Frage war, wer übernimmt das Schlagzeug? Vielleicht Udo? Bei einem Brainstorming auf dem Weidegut Wintrup, wo wir unsere Anfangsjahre als Band verbrachten, fiel die Entscheidung, wir riskieren es. Conny Plank hatte sich heimlich geschworen, sollten Kraan jemals wieder auftreten, würde er vorbeikommen und einige Konzerte mitschneiden. Das Ergebnis war das Livealbum "Tournee" in der Besetzung Peter Wolbrandt, Ingo Bischof, Udo Dahmen und meine Wenigkeit. Wegen starker Nachfrage kamen ständig neue Tourtermine hinzu und in dem Zusammenhang sind wir offenbar auch in Bremen im Aladin aufgetreten. 

Die Keyboards von Ingo Bischof erinnern an Brand X, die britische Jazzrockformation mit Phil Collins von Genesis am Schlagzeug.
Ach echt? Wir hörten Frank Zappa, Santana, Miles Davis, aber das war früher und Brand X sind für uns überhaupt nicht von Bedeutung gewesen. Wenn, dann wurde Ingo mit Jan Hammer von John McLaughlins Mahavishnu Orchestra verglichen. Ist aber unerheblich, finde ich. Wenn Keyboards auf den Markt kommen, die passabel funktionieren, legt sich früher oder später so gut wie jeder dieses Instrument zu. Auf der anderen Seite kam mir zu Ohren, dass der Keyboarder von Genesis, Tony Banks, Ingo Bischof als eines seiner Idole nannte. Beeinflussungen gab es natürlich auch in umgekehrter Richtung, nur blenden wir das hier merkwürdigerweise immer aus.

Bevor Schlagzeuger Udo Dahmen vorübergehend zu Kraan stieß, hatte er mit Rufus Zuphall Progressive Rock, mit Tom Shaka Blues und mit Charlie Mariano Jazz gespielt. Nach Kraan war er unter anderem beteiligt am Debütalbum von Frl. Menke, die der NDW zugerechnet wird. Was die Frage aufwirft, wie ihr mit solchen Einflüssen umgegangen seid, sprich auch mit Bands der ursprünglichen Neuen Deutschen Welle wie Einstürzende Neubauten, Abwärts, Geisterfahrer, Palais Schaumburg, Freiwillige Selbstkontrolle, Hans-A-Plast, Andreas Dorau oder Der Plan?
Ich gestehe, dass ich ziemlich ignorant bin, was Musik von Kollegen angeht. Richtig bewusst geworden ist mir die Neue Deutsche Welle erst, als die Fehlfarben anfragten, sie hätten gehört, ich sei total aufgeschlossen, ob ich nicht bei ihnen einsteigen wolle. Tatsächlich spielte ich ein dreiviertel Jahr mit den Fehlfarben zusammen. Witzigerweise habe ich immer gesagt bekommen, dass jeder Fan von Kraan ist, was offiziell bloß keiner wissen durfte, weil das sowas von gestrig dahergekommen wäre. Die meinten alle, Kraan, super! Aber bitte nicht weitererzählen, ich werde gesteinigt, wenn ich zugebe, dass ich euch gut finde. Eine echt lustige Zeit!

Warum war Jan Fride Wolbrandt damals nicht als Schlagzeuger dabei? Zusammen mit seinem Bruder Peter Wolbrandt und dir gehörte er von Anbeginn zur Kernbesetzung von Kraan.
Jan ist oft unschlüssig gewesen, ob ein Musikantenleben das Richtige für ihn sei. Er hat zwischenzeitlich ganz andere Sachen gemacht, war in einer Theatergruppe tätig, hat Holz gedrechselt. Der Ehrgeiz, groß rauskommen zu wollen, war ihm fremd. Das ist auch einer der Gründe, weshalb wir das Angebot einer USA-Tournee ausschlagen mussten. Jan fand, dass das zu viel Action ist und er keinen Bock auf das Amerika von Richard Nixon hat, mit dem Vietnamkrieg und so. Obwohl das eine grobe Fehleinschätzung war, wir hätten für diejenigen gespielt, die gegen Nixon, gegen den Vietnamkrieg gewesen sind. Jan war ein überzeugter Asket, er brauchte nicht viel, um glücklich zu sein. Das passt schlecht zu einem Betrieb, der ständig von einem Management vorangetrieben wird. 

Inklusive "Tournee", sind Kraan bereits mit sieben Livealben vertreten. Aber es ist immer eine Freude zuzuhören, wie die einzelnen Instrumente miteinander korrespondieren und sich gegenseitig inspirieren. Das trifft auch auf die "Aladin Tapes" zu, es wird an keiner Stelle langweilig!
Danke, freut mich sehr zu hören!

Wie hat euch das Material der "Aladin Tapes" vorgelegen?
Das weiß ich gar nicht genau, vermutlich auf Audiokassette. Oder Zweispurschnürsenkel?! Spulentonbandgeräte der Marke Revox sind seinerzeit häufig im Einsatz gewesen. Jedenfalls stammen die Aufnahmen aus dem Nachlass von Günter Theis, unserem 2023 verstorbenen Tonmann, der bei Konzertauftritten nicht nur für den guten Sound im Saal gesorgt, sondern auch fleißig mitgeschnitten hat. 

In welchen Tonträgerformaten erscheinen die "Aladin Tapes"?
Vorerst digital und auf CD. Wenn es die Verkaufszahlen zulassen, später eventuell auch noch auf Vinyl. 

Die "Aladin Tapes" sollen 2025 nicht eure einzige Veröffentlichung bleiben.
Nein, die allerersten fünf Kraan-Alben werden wohl im Laufe des Jahres als Paket veröffentlicht. Mitte Juni wird es anlässlich des fünfundzwanzigjährigen Bestehens meiner Band Hattler ein Doppelalbum mit dem Titel "Happy Birthday, Baby" geben, auf Vinyl, CD und digital. Also immer gut was los hier.
Bernd Gürtler/TM


Kraan
"Aladin Tapes"
(36Music; 28.3.25)


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