Glückwunsch zu "Zoup", ein gelungenes Album!
Danke, freut mich, dass es gefällt!
Es macht Laune, sich von den charmanten Melodien forttragen zu lassen oder einzelnen Instrumenten zuzuhören, wie sie untereinander korrespondieren und sich gegenseitig inspirieren. Wie habt ihr das hinbekommen?
Naja, es ist so, dass sich mit den ehemaligen Jugendfreunden über die Jahre eine bestimmte Seelenverwandtschaft einstellt. Ich weiß, wie die Band funktioniert und wie ich innerhalb der Band funktioniere. Als ich vor einem Jahr neue Stücke zu schreiben begann, klang das von Anfang an nach Kraan. Picasso kriegte plötzlich seine blaue Phase und mir wurde schnell klar, dass für mich die nächste Phase mit Kraan ansteht.
Deine ehemaligen Jugendfreunde sind die anderen beiden aus dem Kerntrio, Jan Fride und Peter Wolbrandt an Schlagzeug sowie Gitarre. Wie seid ihr ursprünglich zueinandergekommen?
Ich war neun Jahre alt, als ein Junge mit Beatles-Frisur in meine Schulklasse kam. Er war scheu und kriegte von einem Klassenkameraden gleich eins auf die Mütze, weil er sich nicht zur Wehr setzte. Ich machte dann etwas den Beschützer, daraus entstand eine Freundschaft. Der Junge war Jan Fride, Peters zweieinhalb Jahre jüngerer Bruder. Die beiden sind zuvor mit ihrer eigenen Beatcombo unterwegs gewesen, Jan galt in Ulm als Schlagzeugstar. 1967 taten wir drei uns zusammen. Ewig lange her, aber durch das viele Spielen konnten wir etwas völlig Eigenes entwickeln, das sich wohl kaum mit anderen Musikern nachstellen lässt.
Die bandinterne Personalchemie ist das eine. Aber es gehört mehr dazu, dass ihr euch derart entfalten konntet. Und Kraan sind einzigartig, ein Unikat, keine Band des westdeutschen Krautrock klingt wie ihr!
Wenn die Summe mehr ergibt als die Einzelteile, trifft das auf Kraan zu. Gleichzeitig vollzog sich Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre ein radikaler Bruch mit gesellschaftlichen und kulturellen Traditionen. Wir wollten weg von dem Nazi-Kram, der in den Nachkriegsjahren nach wie vor in den Köpfen der älteren Generation präsent war. Das gab es in keinem anderen Land, keiner anderen Kultur, dass versucht wurde, etwas komplett anderes zu versuchen, ganz ohne auf Traditionelles zurückzugreifen. Viele Bands versuchten das, und naturgemäß kam jeder zu anderen Ergebnissen.
Die Gründungsmitglieder von Kraan gingen in den turbulenten Umbruchjahren zunächst nach Westberlin. Warum?
Peter hat in Berlin Kunst studiert, Jan Fotografie. Ich war der einzige, der noch in Ulm hing, habe die Schule geschmissen und bin auch nach Berlin. Kraan hat sich eigentlich erst dort richtig gegründet. Dann sagten wir uns, wenn wir ohnehin alles hinschmeißen, die anderen ihr Studium, ich mein Abitur, gehen wir dorthin, wo es keine Miete kostet, und das war Ulm. Es gab in Ulm mein Elternhaus, wo wir zusammen wohnen konnten. Von dort schauten wir weiter und fanden das Weidegut Wintrup in Ostwestfalen.
Wintrup ergab sich aus einer Bandbekanntschaft, die auf den Namen Erna Schmidt hörte. Wer war das?
Ebenfalls eine süddeutsche Band, die einen gewissen Grafen Metternich kannte und zuerst in Wintrup wohnte, aber einen Kulturschock erlitt wegen der isolierten Lebensweise auf dem Land. Wir mit Kraan lösten Erna Schmidt ab und übernahmen auch gleich deren Manager. Das war der Walter Holzbaur, der noch heute den unabhängigen Musikverlag Wintrup Music betreibt.
Euer Debütalbum erscheint zu der Zeit, als ihr in Wintrup lebt. Aber es macht wenig Sinn, nach Referenzen zu suchen. Wintrup liegt am Fuß des Eggegebirges, das ist nicht der Schwarzwald. Zwei Songs auf "Kraan" aber heißen "Sarahs Ritt durch den Schwarzwald" oder "Sarah auf der Gänswies'".
Nein, das geht noch auf unsere Ulmer Verbindungen zurück. Die Gänsewiesen sind ein Platz in Ulm an der Donau, wo ich eigentlich nie war, aber die anderen zum Kiffen. Es sind dort immer einige Mädchen dabei gewesen, die mit der Band abhingen. Das Weidegut wird erst ein Thema des zweiten Albums, das entsprechend "Wintrup" hieß. Aber wir sind häufig im Süden aufgetreten, der Schwarzwald war oft eine Anlaufstelle, verbunden mit schönen Erlebnissen. Vielleicht wählte unsere Plattenfirma für unser erstes Album deshalb den Werbeslogan "Kraan macht high", man weiß es nicht.
Ein weiterer Song auf "Kraan" betrifft den niederländischen Vertreter der bildenden Kunst und Grafiker M.C. Escher, berühmt für seine sogenannten unmöglichen Figuren, mehrdimensionale Darstellungen und paradoxe optische Täuschungen. Was verbindet euch mit ihm?
Seine Grafiken berühren musikalische Phänomene. Welche Flächen kommen in den Vordergrund, welche in den Hintergrund, welche sind konkav, welche konvex? Solche Fragen stellen wir uns beim Komponieren, beim Arrangieren, beim Abmischen häufig. Es gibt durchaus Parallelen zu M.C. Escher.
Kraan übernehmen von Erna Schmidt auch den Grafen Metternich als ihren Mäzen. Seine Unterstützung dürfte darin bestanden haben, dass er euch Wintrup zur mietfreien Nutzung überließ?
Richtig!
Der Titelsong zum dritten Album "Andy Nogger" war ursprünglich als Werbung für ein Mineralwasser gedacht, das Graf Metternich aus einer Quelle auf seinen Ländereien zapfte.
Genau, der Graf ließ seinen Werbemann anfragen, ob wir uns wohl vorstellen könnten, einen Song für sein Sprudelwasser zu komponieren. Wir dachten bloß, wie soll das denn gehen! Peter und ich wagten trotzdem einen Versuch, hatten erst eine Idee, dann noch eine und fanden, dass wir einen guten neuen Song für Kraan beisammen hätten. Dabei blieb es.
Es gab im Westdeutschland der siebziger Jahre einen Werbeslogan, der "Nogger dir einen" lautete, für einen Schokoladenriegel?!
Nein, für ein Eis, ein mit Schokolade und Mandelsplittern überzogenes Eis. Eine blöde Werbung unter der Gürtellinie, nogger dir einen, total bescheuert. Mit Andy Nogger erfanden wir eine Kunstfigur, die Opfer der Werbung wird. Der Song war als Protest gegen den Kommerz gedacht.
Das Debütalbum ist noch relativ lose strukturiert. Mit dem zweiten Album "Wintrup", und dann mit "Andy Nogger" sowie dem von Conny Plank produzierten "Let It Out" etabliert sich ein stetiger Wechsel zwischen kompakten Songformen und improvisierten Instrumentalstücken. Kraan wollen den Stilbegriff Jazzrock ungern auf sich angewendet wissen. Aber ein Jazzkrautrock ist es durchaus, weil das improvisatorische Element aus dem Jazz kommt, oder?
Ja, diese Art, sich den Arsch abzuspielen und stundenlang auf den immer gleichen Harmonien herumzudaddeln, das passiert auch im Jazz. Aber Kraan kommt sowieso aus der improvisierten Musik. Wenn wir uns samstags in einem freien Büro der ehemaligen Firma meiner Eltern trafen, haben wir gejammt. Wir hatten keine Stücke, wir haben keine Stücke nachgespielt, wir haben einfach gejammt. Irgendwann ergaben sich natürlich Strukturen, wenn wir ein bestimmtes Thema, eine Rhythmusstruktur toll fanden und dachten, das könnten wir vielleicht weiterverarbeiten. Auf der anderen Seite war Ulm nicht weit von Neu-Ulm, wo die amerikanischen Besatzungssoldaten stationiert gewesen sind. Darüber entstanden Kontakte zu schwarzen Musikern, mit denen wir ebenfalls jammten. Sängern bieten sich nicht viele Möglichkeiten zu jammen, für sie gingen wir Kompromisse ein und haben Gesangsstücke einstudiert. Im Radio hörten wir den amerikanischen Soldatensender AFN, dort und nirgendwo anders im Hörfunk lief Latin Music. Dieser Wirrwarr an Einflüssen floss zusammen und hat Kraan geprägt.
Was von den Errungenschaften der Bandgeschichte findet sich auf "Zoup" wieder?
Ganz viel! Ich weiß, dass Jan einen phantastischen Sechsachtel spielt, deshalb ist das ins Titelstück zu "Zoup" eingebaut. Das ist eine Phrasierung wie im Reggae, aber wie Jan das spielt, klingt das sofort nach Kraan. Oder "Norwegen Dia", das enthält Harmonien, von denen ich weiß, dass Peter sich auskennt damit. Es sind Versatzstücke enthalten, so alt wie die Band teilweise. Auch Sachen, die schon in meinen Soloprojekten Verwendung fanden, wo ich aber immer wusste, eigentlich ist das Musik, die zu Kraan gehört. "Sky Full Of Veils" eröffnet mit einer Passage, die war in meinem Solostück "Mountain Bike" der Mittelpart. Das und mehr baute ich zusammen zu etwas, das ich für Kraan halte.
Du betreibst eine erfolgreiche Solokarriere als Hattler, bist (oder warst) mit den beiden Parallelbands Tab Two beziehungsweise Siyou'n'Hell am Start, kehrst aber immer wieder zu Kraan zurück, bist der Motor hinter der Band, kümmerst dich ums Management, ums Booking, um die Promotion. Deine Eltern sind gestorben, als du ein junger Teenager gewesen bist. Fast scheint es, als sei Kraan für dich sowas wie eine Ersatzfamilie?
Könnte sein, ich habe noch nie darüber nachgedacht. Aber stabile Freundschaften, verlässliche Beziehungen sind mir wichtig, das stimmt. Ich musste zeitlebens gravierende Vertrauensbrüche erleben, das prägt natürlich. Da sucht man nach Verlässlichkeit, erkennt, dass es anderweitig besser funktioniert als innerhalb der Familie. Meine Eltern hatten eine Maschinenfabrik, da war auch viel Missmut, viel Sorge. Wahrscheinlich ist das die Ursache, weshalb ich ticke, wie ich ticke. Wenn mich etwas grämt, ziehe ich mich zurück und suche in meinem Innenleben Plätze, wo es mir gut geht, wo ich weiß, dass es sich richtig anfühlt. Dadurch entsteht eine Individualität, die auf andere oft merkwürdig wirkt. Aber es entstehen so auch neue Kompositionen, und ich komme sehr gut damit klar. Ich habe, glaube ich, wenig psychische Probleme. Ich hatte das Glück, bislang ein sehr erfülltes, da selbstbestimmtes Leben zu führen.
Bernd Gürtler/TM
Kraan
"Zoup"
(36Music; 24.11.23)
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