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Voices Of Mississippi: Artists And Musicians Documented By William Ferris

Die Liste der Preise und Auszeichnungen, die das auf historische Roots Music spezialisierte Label Dust-to-Digital aus Atlanta, Georgia, seit seiner Gründung vor zwanzig Jahren einheimsen konnte, ist beeindruckend. Zuletzt gab es einen Grammy für Voices Of Mississippi, ein opulentes Boxset mit Feldforschungen von William Ferris.

Es sind einige, die den Süden der Vereinigten Staaten mit Magnetband-Rekorder, Fotoapparat oder später auch Filmkamera bereisen, fasziniert von der Region, der die Menschheit ein musikalisches Weltkulturerbe verdankt. Besonders Mississippi steht im Fokus und dort das Mississippi-Delta östlich des Mississippi Rivers zwischen Vicksburg und Memphis, Tennessee. Nahezu jeder namhafte Bluesmusikant ist biografisch mit der Gegend verknüpft, von Muddy Waters, Robert Johnson und Son House über Charley Patton, Howlin’ Wolf, Big Joe Williams bis hin zu Fred McDowell, John Lee Hooker oder Willie Dixon. Ihr Blues, schon für sich genommen eine unglaubliche kreative Leistung, sollte ab Mitte der Fünfzigerjahre dem Rock als wichtige Quelle der Inspiration dienen. Liebhaber sowohl der einen als auch der anderen Stilform, die darum wissen, betrachten das Mississippi-Delta als ihr Heiliges Land.

Denen, die teilweise von sehr weit her anreisen, um dem Zauber der Musik und der Landschaft genauer auf den Grund zu gehen, ist William Ferris von Beginn an um Längen voraus. Ähnlich dem von ihm hochgeschätzten Vorreiter Alan Lomax stammt auch er aus dem Süden. Mehr noch, der Sohn weißer Plantagenbesitzer aus Vicksburg wird 1942 an einem Bluesbrennpunkt geboren. Und ihm mitgegeben ist offenbar eine eben nicht alltägliche Unvoreingenommenheit, ein tiefer Respekt auch gegenüber der schwarzen Community. Hautfarbe macht für ihn keinen Unterschied. Ebenso wenig betrachtet er Hochkultur und Alltagsleben als verschiedene Paar Schuhe. William Faulkner, der weiße Südstaaten-Dichterfürst und Bluesikone Bobby Rush vertragen sich prächtig miteinander in seinem Wertekanon, vermerkt der Einführungstext zu Voices Of Mississippi.

Beflügelt auch durch die Bürgerrechtsbewegung der Sechzigerjahre, stellt William Ferris seine anthropologische Neugier nach der Highschool auf ein solides akademisches Fundament, studiert am Davidson College in North Carolina, dann an der Northwestern University in Illinois englische Literatur, geht für ein Jahr ans Trinity College im irischen Dublin, bevor er 1969 an der University of Pennsylvania zuerst den Master und schließlich einen Doktortitel in Folkore Studies erwirbt. 1972 ist er Mitbegründer des Center of Southern Folklore in Memphis, Tennessee. Drei Jahre später entsteht auf seine Initiative an der University of Mississippi in Oxford das Center for the Study of Southern Culture. Bereits damals zählt B. B. King zu seinem engsten Freundeskreis, regelmäßig lässt er den Mississippi-Blues-Mann im Rahmen seiner Vorlesungen vor Studenten auftreten. Voices of Mississippi liefert gewissermaßen den Soundtrack zu seinen drei Buchveröffentlichungen Give My Poor Heart Ease: Voices of the Mississippi Blues, The Storied South: Voices of Writers and Artists sowie The South in Color: A Visual Journal.

Dass das Boxset bei Dust-to-Digital erscheint, ist ein mehr als glücklicher Umstand. 1999 von Steven Lance Ledbetter gegründet und inzwischen partnerschaftlich mit Ehefrau April geführt, stellt das Label höchste Ansprüche an sich selbst. „Am Anliegen von Dust-to-Digital hat sich seit Beginn nichts geändert: Es geht darum, hochwertige, kulturell bedeutsame Produkte zu erzeugen“, lautet das auf der eigenen Website formulierte Firmenmotto. Und sie können auf eine langjährige, überaus wertvolle Erfahrung mit historischer Roots Music nicht nur amerikanischen Ursprungs zurückgreifen. Im Gesamtkatalog finden sich Veröffentlichungen wie Music Of Morocco – From The Library Of Congress: Recorded By Paul Bowles, 1959 oder Qat, Coffee & Qambus: Raw 45s From Yemen. Dazwischen für eine US-amerikanische Schallplattenfirma Naheliegendes wie Your Past Comes Back To Haunt You: The Fonotone Years (1958-1965) mit Aufnahmen aus dem Nachlass des Gitarrenvirtuosen John Fahey. Oder Parchman Farm: Photographs And Field Recordings, 1947-1959. Vierzehnmal wurde das Label für einen Grammy nominiert, in drei Fällen bekam es die begehrte Trophäe überreicht, bei der Verleihung vergangenen Februar gleich zweimal eben für Voices Of Mississippi.

Das Set besteht aus drei Audio-CDs, zwei davon mit Blues beziehungsweise Gospel. Auf der dritten erläutern Südstaatenliteraten ihre Autorenphilosophie. Eine zusätzliche DVD enthält Kurzfilme. Unter anderem zu sehen ist Othar Turner, Chef der nach ihm benannten Rising Star Fife and Drum Band beim Herstellen eines seiner Pfeifeninstrumente. Dazu gibt es ein Begleitbuch mit Abhandlungen der Bluesautoren-Champions David Evans und Scott Barretta sowie Fotos, Transkriptionen sämtlicher Songtexte und Kommentare der Künstler. Verstaut ist das Ganze in einer Querformatbox aus stabilem Pappkarton, ausgepolstert – thematisch angemessen – mit einem Baumwollgewebe. Vorn auf dem Frontdeckel zu sehen James Son Thomas mit seinen Lehmskulpturen, auf dem Begleitbuch eine Diddley Bow, eins dieser primitiven Urinstrumente des Blues, wie es der neunmalkluge Jack White von den White Stripes bei einem seiner Auftritte in der Gitarrengötter-Filmeloge It Might Get Loud mit wenigen Handgriffen hinzimmert.

Das gesamte Material entstand nicht im Auftrag irgendeiner Plattenfirma, die sich das kommerziell Vielversprechendste herausgepickt und den Rest klammheimlich entsorgt hätte, sondern stammt aus den Feldstudien von William Ferris, dem es einzig darum ging, die Südstaatenkultur von Mississippi so ungefiltert wie möglich einzufangen.
Bernd Gürtler/TM


Various: "Voices Of Mississippi-Artists And Musicians Documented By William Ferris" (Dust-to-Digital; 2019/3 CDs, 1 DVD, 120-seitiges Begleitbuch)


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Foto: Dust-to-Digital
Foto: Dust-to-Digital

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