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Achim Reichel: Mit AR & Machines zum Daniel Düsentrieb des westdeutschen Krautrock

Reiner Zufall, dass Achim Reichel schnell ein Gitarrenmotiv aufzeichnen wollte, damit es nicht in Vergessenheit gerät, als er einen kuriosen Daniel-Düsentrieb-Moment erlebt. "Ja, richtig", scherzt der hanseatische Beatveteran und Sängerbarde. "Da ist es mir ergangen wie vielen Erfindern. Die kriegten etwas durcheinander und plötzlich funktionierte das." Was war geschehen? Mehr aus Schusseligkeit hatte Achim Reichel an seinem soeben erworbenen Spulentonbandgerät Typ Akai X-330D den Sound-On-Sound-Umschalter betätigt, der eine Art Multiplayback ermöglicht.

Eigentlich eine völlig unnütze Funktion damals an Bandmaschinen für den Hobbyanwender, der sich zum Heimgebrauch vielleicht ein Konzert aus dem Radio mitschneidet oder eine Schallplatte überspielt. Außer bei dieser einen Gelegenheit, als sich zeigen sollte, dass der unscheinbare Drehknopf rechts neben der Tonkopfabdeckung eine höchst eigenwillige Gestaltungsmethode zulässt. Schnell sei er dahintergekommen, schwärmt Achim Reichel, dass man die "Bandmaschine mit Gitarrenmotiven füttern konnte und die sich dann noch mal und noch mal wiederholten. Zur ersten Gitarre kam eine zweite, eine dritte, eine vierte. Irgendwann klang das wie ein ganzes Gitarrenorchester. Nur, dass das von einer einzigen Gitarre kam!"

Die frühen siebziger Jahre sind eine bahnbrechende Zeit. Aus Achim Reichels Umfeld gehen zwei bedeutende Softwareentwickler hervor, die Erfinder der Musikprogramme Cubase und Logic, heute in Tonstudios weltweit genutzt. Der Gründer der westdeutschen Musikzeitschrift Fachblatt war ein Weggefährte. Achim Reichel selbst entdeckt Yoga für sich und ist bis heute dabei geblieben. Vor allem aber bildet sich mit dem Krautrock eine eigenständige westdeutsche Rockspielweise heraus. Bands wie Can, Kraftwerk, Tangerine Dream, Amon Düül, Faust, Cluster oder Neu! verweigerten sich dem gängigen Kopieren angloamerikanischer Vorbilder und entwickelten eine derart individuelle Ausdrucksform, dass sich wiederum britische und amerikanische Rockmusiker inspiriert fühlen. Mit dem psychedelischen Krautrockprojekt AR & Machines fügt Achim Reichel dem Phänomen seine eigene, sehr spezielle Variation hinzu.

Längst gilt das 1971 veröffentlichte AR & Machines-Debütalbum "Die Grüne Reise" als Klassiker. Der experimentierfreudige Brite Brian Eno benannte 1975 sein Album "Another Green World" danach. Parallel erfand Robert Fripp von der britischen Progressive-Rock-Formation King Crimson gleichfalls aus der Interaktion zwischen Elektrogitarre und Bandmaschine resultierende Klanggebilde, seine sogenannten Frippertronics, die erstmals 1973 auf dem Fripp/Eno-Duoalbum "(No Pussyfooting)" der staunenden Öffentlichkeit vorgestellt wurden. Von dort ist es dann nur noch ein kleiner Schritt zur heute gebräuchlichen Samplingtechnik gewesen.

Lange hielt sich Achim Reichel eher bedeckt, was das AR & Machines-Kapitel angeht. Aus Sorge, es könnte unter seiner Stammhörerschaft bloß Verwirrung stiften. Kein ganz unbegründeter Gedanke. Tatsächlich jedoch dürfte sein Krautrockabstecher dafür verantwortlich sein, dass sich der Beatveteran, der in den sechziger Jahren mit den Rattles bis zum Abwinken Beatles & Co kopiert, überhaupt in den Sängerbarden verwandeln konnte. Ohne die wagemutige Neulanderkundung mit AR & Machines hätte er vielleicht nie Shantys verrockt, Heinrich-Heine-Texte vertont und jede Menge eigene Songs in seiner Muttersprache geschrieben, darunter ewige Gassenhauer wie sein berühmtes "Kuddel Daddel Du". Umso schöner deshalb, dass die insgesamt sechs AR & Machines-Alben jetzt im Boxset "The Art Of German Psychedelic 1970-1974" zusammengefasst sind, erweitert um bislang unveröffentlichtes Material, zwei Konzertmitschnitte und ein überaus lesenswertes Begleitbuch.

Bliebe die Frage, ob AR & Machines auf Tour gehen werden? Immerhin, ein Konzert in der Hamburger Elbphilharmonie gab es bereits!? "Also das Elbphilharmonieding war unbeschreiblich", gesteht Achim Reichel. "Ich habe Nächte vorher schlecht geschlafen, weil ich dachte, mein lieber Schwede, da kannst du dich aber ganz schön blamieren. Hoffentlich kriegst du das auf die Reihe." Er kriegt es auf die Reihe, das Konzert wird ein Riesenerfolg. Und eine Tour ist sehr wahrscheinlich. Die Idee jedenfalls gefällt ihm um einiges besser, als ein weiteres Songalbum schreiben zu müssen. "Ich finde es viel schöner, AR & Machines zu machen und habe mir jetzt ein Jahr gegeben, dann schauen wir, was in Bewegung gekommen ist."
Bernd Gürtler/TM


AR & Machines
"The Art of German Psychedelic 1970-74"
(BMG; 27.10.2017)


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Foto: H. Franck
Foto: Privat

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