|   Rezension

Moor Mother

The Great Bailout

(Anti)

Die Sklaverei ist eines der unrühmlichsten Kapitel amerikanischer Geschichte. Trotz erfolgreicher Bürgerrechtsbewegungen bis hin jüngst zu Black Lives Matter, rumort die Vergangenheit im kollektiven Unterbewusstsein, weil nach wie vor nicht aufgearbeitet zur Zufriedenheit sämtlicher Beteiligten. Moor Mothers "The Great Bailout" widmet sich einem Teilaspekt der Thematik, nämlich den Verflechtungen zwischen Vereinigten Staaten und Großbritannien. Von daher neben Lonnie Holley und Mary Lattimore kaum zufällig an der Albumeinspielung beteiligt das London Contemporary Orchestra.

Moor Mother heißt bürgerlich Camae Ayewa, wird 1981 in Aberdeen, Maryland geboren, wächst auf in einer Sozialbausiedlung, interessiert sich bereits in jungen Jahren für brisante Gesellschaftsthemen. "As a kid, you hear about certain atrocities: what happened with Indigenous populations here in America, about enslavement. It radicalised me", bekennt sie gegenüber der britischen Tageszeitung The Guardian und dass sie sich als Drittklässlerin im Unterricht über Christoph Columbus entrüstet habe. Später ein Studium der Fotografie am Philadelphia Art Institute, sie entdeckt die Dichtkunst von Amiri Baraka, Maya Angelou und Lucille Clifton für sich, verfasst eigene Lyrik, gründet eigene Bands, Irreversible Entanglements dürfte die bekannteste sein.

"The Great Bailout", das neunte Studioalbum als Moor Mother, geht der Frage nach, woher wohl jener Reichtum kam, der Großbritannien in die Lage versetzte, Prachtbauten zu errichten wie die St. Paul's Cathedral, das Victoria & Albert Museum, Big Ben, den Tower Of London, das British Museum oder den Palace Of Westminster. Beziehungsweise weshalb nach Abschaffung der Sklaverei ein Gesetz von 1835 zwar sechsundvierzigtausend Sklavenhalter mit 20 Millionen (Gegenwert heute 17 Milliarden) Pfund entschädigte, die ehemaligen Sklaven aber leer ausgingen.

Seine Wirkung entfaltet das Album, weil nicht, wie zu erwarten wäre, auf Elemente schwarzer Populärmusik wie Jazz oder HipHop zurückgegriffen wird, sondern das London Contemporary Orchestra einen Rahmen nach dem Vorbild von Iannis Xenakis' "Nuits" oder "Cendrées" bereitstellt. "The Great Bailout" ist ein eindringliches Klagelied mit Aufklärungspotential zu weltgeschichtlichen Hintergründen. Es sollte Schulstoff werden, überall, nicht nur in Großbritannien und den USA.
Bernd Gürtler/TM


Moor Mother
"The Great Bailout"
(Anti; 8.3.24)


Moor Mother im Netz
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Konzerte
10.04.24 Los Angeles, Regent Theater
26.04.24 Norman, Norman Music Festival
06.05.24 Paris, Lafayette Anticipations
07.05.24 Basel, Kaserne
18.05.24 New York, Artists Studio*
19.05.24 Philadelphia, Solar Myth
21.06.24 Vancouver, Vancouver Jazz Fest
*mit Irreversible Entanglements
 

Foto: Ebru Yildiz

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