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Kein Rost, nirgends! Neil Young geht dem Wind nicht aus dem Wege

"People want to hear about love", wettert Neil Young zu krachigen Rockgitarrenriffs 2015 auf "The Monsanto Years". Wirklich fatal, wozu sich die Populärmusikform, deren namhafter Vertreter er ist, ständig genötigt sieht. Nach Liebesliedern verlangt das Publikum! Aufklärung über "the Chevron millions going to the pipeline politicians" oder "the beautiful fish in the deep blue sea, dying"? Besser nicht, das schlägt bloß aufs Gemüt. Nun trifft es zu, dass Neil Young sein Scherflein beigetragen hat zum Liebesliederfundus der Menschheit. Bei ihm jedoch bekommen solche Songs Gewicht, weil geknüpft an ein sicheres Gespür für brisante Gesellschaftsthemen.

Seit den frühen siebziger Jahren zieht sich das wie ein roter Faden durch sein vorläufiges Gesamtwerk. "A Man Needs A Maid", geschrieben als er sich nach Schauspielerin Carrie Snodgress verzehrte oder der unverwüstliche Lagerfeuerklassiker "Heart Of Gold" gehen einher mit "Southern Man" und "Alabama", die beide den amerikanischen Südstaaten wegen ihrer Rassentrennung ins Gewissen reden. Oder "Ohio", seine spontane wie wütende Reaktion auf die vier Studenten, die 1970 bei einer Protestaktion an der Kent State University von Soldaten der Nationalgarde erschossen wurden.

Später finden sich Sympathiekundgebungen für die amerikanischen Ureinwohner wie "Cortez The Killer" oder "Pocahontas", begleitet von mancherlei Kontroverse. "Even Richard Nixon has got soul" sang Neil Young in "Campaigner" nach einem Fernsehbericht vom Besuch des damaligen US-Präsidenten am Krankenhausbett seiner First Lady.

Die meisten seiner Fans wollte diese Einlassung ebenso wenig mittragen wie in den Achtzigern seinen naiven Patriotismus im Titelsong zu "Hawks & Doves" oder den Appell an die amerikanischen Landsleute in "Motor City", vom Erwerb japanischer Automobile abzusehen.

In einem Generic Interview, das interessierte Musikjournalisten von seiner Schallplattenfirma anlässlich der Veröffentlichung von "Prairie Wind" zur Verfügung gestellt bekamen, verstieg er sich sogar zu der Behauptung, im Präsidentschaftswahlkampf 2004 hätte es mit dem Demokraten John Kerry durchaus eine Alternative gegeben. Keine besonders wünschenswerte allerdings. Amtsinhaber George W. Bush von den Republikanern sei eher die starke Führungspersönlichkeit, die die Vereinigten Staaten brauchten. Er, Neil Young stimme zwar nicht mit Bush Junior überein, respektiere aber dessen Ansichten.

Umso leidenschaftlicher sein Engagement mit dem nächsten Album. Was sich andeutete bei "Mideast Vacation", einem Schlaglicht auf den Dauerkrisenherd Naher Osten beziehungsweise die amerikanischen Verwicklungen dort und sich weiter verdichten sollte mit "Keep On Rockin' In The Free World", seiner Abrechnung mit der Regierungsära von Ronald Reagan, kommt bei "Living With War" richtig in Fahrt. Der kanadische Fernsehsender CTV bezeichnete das im Stil der Protestsongs eines Phil Ochs oder Bob Dylan verfasste Album auf seiner Website als "a musical critique of U.S. President George W. Bush and his conduct of the war in Iraq".

Parallel zur Albumveröffentlichung ging Neil Young mit den alten Kumpels von Crosby, Stills & Nash als Crosby, Stills, Nash & Young auf "Freedom Of Speech-Tour". Der Dokumentarstreifen "CSNY/Déjà Vu" hält das Spektakel ungeschönt fest, zeigt, wie spätestens dann, wenn das Quartett zum Finale eines jeden Abends "Let's Impeach The President" anstimmt, die Reaktionen im Publikum gegensätzlicher kaum sein könnten. Die einen jubeln, andere verlassen empört den Saal und wünschen Neil Young die Pest an den Hals.

Nach dem Anschauen wird begreiflich, wer der Mann ist oder sein will. Jedenfalls nicht mehr der notorische Eigenbrötler aus seinem eigenen Selbstporträtsong "The Loner", der noch im fortgeschrittenen Alter mit der Hingabe eines Schuljungen dem Sammeln von Modelleisenbahnen der Marke Lionel nachgeht. Sondern jemand, der teils aus Spaß an der Freude, teils aus Einsicht in die Notwendigkeit am Elektroauto der Zukunft tüftelt ("Just singing a song won't change the world" heißt es auf seinem Elektroautoalbum "Fork In The Road"). Der Lösungen sucht, die Klangqualität der Tonträgerkonserve zu verbessern ("I don't want my MP3" bekennt er in "Drifting Back" von "Psychedelic Pill"). Einer, der sich einmischt, jedoch den Dialog mehr schätzt als ideologische Grabenkämpfe. Der Wahrheit und Wahrhaftigkeit zum Durchbruch verhelfen will, damit etwas besser wird als gehabt. Der dem Wind, der ihm deswegen entgegenweht, nicht aus dem Wege geht. Welcher ergraute Rockstar sonst könnte das von sich behaupten? Wer außer Neil Young?

Wacker scheint er sich an seine 1979 im Albumtitel "Rust Never Sleeps" angedeutete Ermahnung halten zu wollen, sich bloß nicht der Bequemlichkeit hinzugeben. Man hätte es freilich wissen können, in Personalfragen hat Neil Young ebenso und mit schöner Regelmäßigkeit die Herausforderung gesucht. Seine Begleitformationen wechseln ständig. Seine Deutschlandkonzerte vom Juli 2019 bestreitet er mit Promise Of The Real, einer Band, die ihre eigene Geschichte mitbringt.

 

Der betagte Countryrecke und bekennende Kiffer Willie Nelson hat sieben Kinder aus vier verschiedenen Ehen. Lukas Nelson, der ältere seiner beiden jüngsten Söhne, gründete Promise Of The Real 2008 in Los Angeles. Eigentlich war er zum Studium eingeschrieben, an der kalifornischen Loyola Marymount University, einer privaten Einrichtung in kirchlicher Trägerschaft mit weltlichem Bildungsangebot. Anstatt die Schulbank zu drücken, verbringt Lukas Nelson den lieben langen Tag mit Surfen, liest Hermann Hesses "Siddhartha" fünf Mal hintereinander und beschließt, Musiker zu werden, sei seine Bestimmung. Die Voraussetzungen sind eben nicht ungünstig, schon als kleiner Steppke stand er neben dem Vater auf der Bühne.

Die Bekanntschaft seines Schlagzeugers Anthony LoGerfo macht er bei einem Neil-Young-Konzert, aus Neil-Young-Coversongs bestand ihr frühes Repertoire. Der Bandname bezieht sich auf Neil Youngs "Walk On", wo es heißt "Some get stoned, some get strange/But sooner or later it all gets real". Und da Neil Young regelmäßig neben Nelson Senior bei Farm Aid auftrat und Promise Of The Real irgendwann auch, kam eins zum andern.

Ihre erste gemeinsame Albumeinspielung war "The Monsanto Years", eine Breitseite in Richtung des gleichnamigen Chemie- und Biotechnologiekonzerns, umstritten wegen seines Pflanzenschutzmittels Glyphosat, genmanipulierter Saatgüter und Zwangsverträgen mit amerikanischen Farmern. Thematisiert auch eine Verflechtung von Starbucks mit Monsanto und die Schwierigkeiten, die Zusammenhänge publik zu machen. Ein unglaublich brisantes, ein mutiges Album!

Der nächste Streich hieß "The Visitor" und war gedacht als Antwort auf Donald Trumps Wahlkampfslogan "Make America Great Again". "Already Great" verkündete die erste Singleauskopplung, gemäß dem Motto, hey old man Trump look at my life I'm not a lot like you. Bei einer Interviewverabredung mit dem New Yorker Radiosender Q104 bezeichnete Lukas Nelson "The Visitor" als bestes Neil Young-Album seit Jahren, womit er zweifellos recht hat.

Wiederum darauf folgt "Paradox", der Soundtrack zum gleichnamigen Film von Daryl Hannah, Neil Youngs aktueller Ehefrau. Die Musik vorrangig funktional ähnlich wie seinerzeit bei "Dead Man". Dennoch interessant die Scheibe, weil mit Jimmy Reeds "Baby What You Want Me To Do?" die Coverversion eines Bluesklassikers enthalten ist, und die Bluesform selten vorkommt bei ihm. Auf Deutschlandtour bringt Neil Young neues Archivmaterial mit. "Tuscaloosa" heißt das Album, enthalten ein Konzertmitschnitt mit den Stray Gators aus dem Jahr 1973, am Piano Jack Nitzsche.

Promise Of The Real haben ihr nigelnagelneues "Turn Of The News Built A Garden" dabei. Deutlich zu spüren dort das Bestreben, breitere Hörerschichten erreichen zu wollen. Verschwunden der schroffe Roots-Sound des Albumvorgängers, schlicht "Lukas Nelson & Promise Of The Real" betitelt. Eine clevere Produktion hat Ecken und Kanten rundgeschliffen. Gastauftritte von Sheryl Crow, Margo Price, Shooter Jennings und Papa Willie sind kaum wahrnehmbar. Und wer Neil Young Harmonium spielen hören möchte, greife besser zu seiner Version von "Like A Hurricane" auf "Unplugged", sein Harmonium-Beitrag zu "Turn Off The News Built A Garden" jedenfalls ist entbehrlich.

Der Albumtitel immerhin versteht sich nicht als Aufruf zum Rückzug ins Private, sondern meint, in Zeiten von Fake News und Hasskommentaren auf allen Kanälen, trägt es zur Verbesserung der Lebensqualität bei, wenn der Mensch Medien einfach Medien sein lässt und stattdessen etwas Nützliches mit seinen beiden Händen tut. Schaden kann es nicht. Bernd Gürtler SAX 7/19


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Foto: Emily Dyan Ibarra

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