|   Rezension

Cass McCombs

Tip Of The Sphere

(Anti)

Der amerikanischen Entertainmentzeitschrift Vanity Fair verriet Cass McCombs, er beginne seine Songs gewöhnlich mit den Songtexten. Vermutet hatte man es bereits 2003 beim Debütalbum "A". Spätestens der ostinate Rocker "When The Bible Was Wrote" sowie das direkt im Anschluss lakonisch hingeworfene "My Pilgrim Dear" ließen zweifelsfrei erkennen, hier gehorcht die Musik einem Erzählfaden und nicht umgekehrt.

Wer sich die Mühe macht und wenigstens die Livevideos im Weltnetz aufruft, wird entdecken, wie hervorragend das organische Verweben von Songtexten und Musikstruktur auch auf der Konzertbühne beherrscht wird. Überhaupt Konzerte, für Cass McCombs sowieso die einzig legitime Darbietungsform. Von daher wenig überraschend, sollte "Tip Of The Sphere" ursprünglich rein aus Konzertmitschnitten bestehen. Dass die Einspielung dann doch in ein New Yorker Studio verlegt wurde, tat der Sache keinen Abbruch. Genauso charmant wie unaufdringlich und diesmal ins Psychedelische gedreht die Ohrwurmmelodien, auf die sich der im Großraum San Francisco lebende Amerikaner inzwischen hervorragend versteht. Inhaltlich beruft sich sein Album auf die Memoiren eines gewissen Edward Morrell. Als Mitglied der Evans & Sontag Gang ist der Mann Ende des neunzehnten Jahrhunderts im kalifornischen San Joaquin Valley an Raubüberfällen auf die Southern Pacific Railroad beteiligt gewesen. Die Beutezüge, vermerkt die Überlieferung, seien eine Vergeltungsmaßnahme gewesen, wegen des rabiaten Vorgehens der Eisenbahngesellschaft gegen Viehzüchter der Region. Vom langen Arm des Gesetzes schließlich gefasst und zu einer empfindlichen Gefängnisstrafe im berüchtigten Folsom State Prison verurteilt, später verlegt in den kaum weniger üblen San Quentin-Knast, schrieb Edward Morrell seine Erinnerungen auf. "The 25th Man" heißt das Buch und diente bereits Jack London als Vorlage für seinen Roman "The State Rover". Ein Schelm, der Böses dabei denkt, dass ein ausgewiesener Kenner amerikanischer Mythen wie Cass McCombs ausgerechnet jetzt darauf Bezug nimmt. Zu einem Zeitpunkt, da wie nie zuvor die Reichen reicher und Arme bloß ärmer werden. Das Cover zu "Tip Of The Sphere" bezieht sich wohl auf die sogenannten Dream Machines des englischen Beatpoeten Brion Gysin. Im Eröffnungssong "I Follow The River South To What" entdeckte wiederum Vanity Fair Referenzen an Dantes "Inferno".
Bernd Gürtler/TM


Cass McCombs
"Tip Of The Sphere"
(Anti; 8.2.2019)


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