|   Rezension

Bobby Rush

Sitting On Top Of The Blues

(Deep Rush/Thirty Tigers)

Bobby Rush besetzt seine eigene Nische im Bluesuniversum. Kein gängiges Rollenmodell, das ihm entspricht. Nicht der hoffnungslos entwurzelte Streuner. Nicht der Stenz, der des Nachts am Kreuzweg seine Seele dem Teufel verkauft. Nicht der ehemalige Sträfling mit Hang zum Religiösen, der eher auf die Kanzel gehört oder wer sonst noch. Ähnlich Muddy Waters, Robert Johnson, Son House & Co. befassen sich seine Songs zwar mit Beziehungskram, einschließlich der erotischen Komponente. Anders jedoch, aber auch nicht so anders, dass ihm überregional in der Vergangenheit nennenswerte Resonanz vergönnt gewesen wäre. Das soll sich jetzt doch noch ändern.

Irgendwann zufälligerweise sein "Sue" gehört? In der Langfassung vom gleichnamigen Album aus dem Jahr 1981 vielleicht? Bobby Rush beschreibt dort, wie er als Fünfzehnjähriger bei einem gleichaltrigen Mädchen aus der Nachbarschaft seine Unschuld verliert. Aber weder prahlt er mit seiner Manneskraft noch mit seiner Eroberung. Er ist es, der sich ihrer Geschicklichkeit anvertraut. Sie "macht es" mit ihm, nicht umgekehrt. Ein himmelweiter Unterschied zur Mehrheit seiner Blueskollegen. Es wird auch nicht mit Details gegeizt, im Gegenteil. "Dust My Broom" oder "I'm A King Bee" hätten sich solche Eindeutigkeiten nicht erlauben dürfen. Die Erzählweise allerdings ist weitaus raffinierter. Ein ordentliches Stück erotischer Bluesliteratur! Leider sind nicht alle seine Songs vom selben Kaliber, was seiner Beliebtheit in den amerikanischen Südstaaten nie geschadet hat.

Geboren 1933 in Homer, Louisiana, aufgewachsen in Pine Bluff, Arkansas, gönnt sich Bobby Rush einen Abstecher nach Chicago, bevor er seinen Lebensmittelpunkt zurück in den Süden, nach Jackson, Mississippi, verlegt. Und sich in der Region eine treue Anhängerschaft heranzieht, wie eindrucksvoll belegt 2003 in Martin Scorseses Dokumentarserie "The Blues". Außenstehenden freilich dürfte mancher seiner Songs, manches an seine Bühnenshow wie eine Verirrung in die Niederungen des biederen Herrenwitzes vorgekommen sein. Zumal von heute aus betrachtet, nach MeToo und mit einem US-Präsidenten im Amt, dessen Frauenverachtung im Wahlkampf durch einen Tonbandmitschnitt ruchbar wurde. Von daher verständlich, wenn Bobby Rush die Kurve kriegen will. "Sitting On The Top Of The Blues" beschreibt ihn in "Good Stuff" als aufrichtigen Bewunderer der Frauen, in "Slow Motion" als einfühlsamen Frauenversteher, in "Pooky Poo" als treusorgenden Ehemann und verlässlichen Gefährten. Auf eine eher krude Art bringt "Bowlegged Woman" zum Ausdruck, dass er weiß, vor allem die inneren Werte zählen. Das eröffnende "Hey, Hey Bobby Rush" ist ein Selbstporträt als versierter Bluesmann. Was er zweifellos ist. Keine Stilfacette, die er nicht beherrscht.
Bernd Gürtler/TM


Bobby Rush
"Sitting On Top Of The Blues"
(Deep Rush; 16.8.2019)


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Foto: Bill Steber

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