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Kaiser Quartett: Ein Königreich dem Streicherensemble

Das Kaiser Quartett kennt, wer mit Chilly Gonzales vertraut ist. Oder Jarvis Cocker, Gregory Porter, Roosevelt, Leoniden, Kettcar. Sie und ein ansehnlicher Reigen weiterer Musikergrößen wollten bei Schallplatteneinspielungen und Konzertauftritten unbedingt das Hamburger Streicherensemble hinzuziehen. Neben den Auftragsengagements bleibt Zeit für eigene Veröffentlichungen. Nach "Kaiser Quartett" von 2019 erscheint inzwischen unter der Titelüberschrift "Empire" (PIAS) das zweite Album. Die Stücke schreibt nach wie vor Ingmar Süberkrüb, der Mann an der Bratsche. Er ist es auch, der beim Interviewtermin die Fragen beantwortet.

Die Ensemblebiographie des Kaiser Quartetts liest sich als wäret ihr erst durch das Album "The Unspeakable Chilly Gonzales" in die Welt gekommen, das, auch der Hinweis fehlt selten, HipHop enthält, umgesetzt mit Mitteln sinfonischer Orchestermusik. Euch gab es doch aber vorher schon.
Das Kaiser Quartett in der heutigen Besetzung verdankt seine Existenz Chilly Gonzales. Davor hieß es Strings DeLuxe. Ich war noch nicht dabei, kannte die Jungs aber aus dem Orchestergraben von "König der Löwen", Adam Zolynski und Jansen Folkers sind feste Orchestermitglieder gewesen. Als die Anfrage von Chilly kam, brauchten sie einen Bratscher, weshalb sie mich mit ins Boot holten. Und es wurde beschlossen, einen neuen Namen zu finden. Deshalb taucht das Kaiser Quartett erst zu diesem Zeitpunkt auf, davor hieß es bloß anders.

Seltsam auch, dass "The Unspeakable Chilly Gonzales" als eure Geburtsstunde genannt wird, ihr an dem Album aber gar nicht beteiligt gewesen seid!?
Nein, die Einspielung besorgten Chilly und sein Bruder Christophe Beck, der gefragte Soundtrackkomponist aus Hollywood. Aufgeführt wurden die Stücke zweimal mit großem Orchester, in Großbritannien und Österreich. Nicht einfach zu spielen dieses Programm. Chilly wollte damit aber auf Tour gehen, ohne jedes Mal ein Orchester vor Ort einarbeiten zu müssen. Wir sollten seine Tourbegleitung übernehmen, in etwas umfangreicherer Besetzung, erweitert um Kontrabass und Bläser. Daraus entwickelte sich die Idee zum gemeinsamen Kammermusikalbum "Chambers". Anschließend sind wir mit ihm unterwegs gewesen, in kleiner Besetzung, Streichquartett plus Schlagzeug. Chilly am Klavier und hat gerappt.

Was wird dem Streichquartett abverlangt, das einen Rapper begleitet?
Die anderen Mitglieder des Kaiser Quartetts hatten als Strings DeLuxe schon für Sammy Deluxe gearbeitet. Ganz neu war uns die Stilgattung nicht. Es wäre heutzutage auch albern zu behaupten, nichts von HipHop zu wissen. Aber wenn wir mit jemandem spielen, der rappt, erfordert das absolute Akkuratesse im Timing. Das ist schon eine Spezialdisziplin, wir haben das gnadenlos trainiert. Es gibt auf "Chambers" ein Stück, das heißt "Sample This". Chilly rappt dort nicht, aber jedes Mal, wenn ich es höre, denke ich, wow, das ist perfekt. Wenn Chilly bei Konzertauftritten gerappt hat, durfte er nicht nachdenken müssen, wo die nächste Eins liegt. Dem Rapper muss die Freiheit gewährt werden, sich über einem Rhythmusfundament nach Belieben entfalten zu können, auch wenn der Beat nicht von Kickdrum oder Snare kommt sondern von Cello und Geigen.

Welches der zahllosen Auftragsengagements, die Strings DeLuxe und Kaiser Quartett in der Vergangenheit absolvieren durften, gab den Anstoß, eigene Stücke zu schreiben?
Ebenfalls Chilly Gonzales. Auf Tour fragte er uns, ob wir nicht zwischendurch ein Stück allein spielen könnten. Er meinte, die Show ist lang. Wäre es nicht cool, wenn ich mich kurz ausruhen könnte und ihr etwas ohne mich zum Besten gebt? Das war der Moment, als wir anfingen nachzudenken, was Musik wäre, die in ein Programm von ihm passt. Wir konnten nicht einfach Bach spielen. Das heißt, gekonnt hätten wir schon. Aber das hätte wohl überlegt geschehen müssen. Das erste Stück, das wir als Streichquartett solo spielten, war "Chase" von Georgio Moroder aus dem Soundtrack zu "Midnight Express". Ich weiß nicht mehr, wann und wo es das erste Mal zur Aufführung kam. Es war jedenfalls in einem größeren Konzertsaal. Chilly legte sich vor uns auf den Bühnenboden und sagte, so, jetzt spielt für mich. Das war die Initialzündung. Wir erkannten, dass wir nicht auf ewig in der zweiten Reihe sitzen müssen. Wir können nach vorn treten und etwas Eigenes schaffen. Wir mussten bloß sichergehen, dass wir dem Kanon der Kammermusik nichts hinzufügen, das redundant und überflüssig wäre. Ich begann Stücke zu schreiben, die wir auf Tour mit Chilly Gonzales vor Publikum testen konnten. Als wir feststellten, die Stücke funktionieren, war es ein kleiner Schritt zu sagen, okay, jetzt lasst uns ein eigenes Album machen.

Wenn du für das Kaiser Quartett schreibst, ist das ein Schreiben im Sinne der Klassik? Oder eher Songwriting wie in der Populärmusik?!
Es ist Songwriting, denke ich. Natürlich habe ich klassische Musik studiert und seit meiner Jugend häufig und gern in Klassikorchestern gespielt. Ich bin aber auch Bassist diverser Rockbands gewesen. Zuhause bekam ich nicht viel Klassik zu hören, sodass ich das, was ich mit Orchestern spielte, vorher meist nicht kannte, selbst wenn es sich um Klassikhits handelte. Stand Dvořáks 9. Sinfonie auf dem Programm, hatte ich die nie zuvor gehört und dachte, schau an, echt gute Musik! Privat hörte ich Popmusik. Logisch, dass mein Stückeschreiben davon geprägt ist, aber auch beeinflusst wird von meinem Wissen um klassische Streicherliteratur. Ich weiß, wie ich die Musik auf die einzelnen Instrumente verteilen muss. Übernimmt das Cello den Bass, ist es im Bandkontext besetzt. Bleiben für die Akkorde Bratsche und eine Geige, die zweite Geige übernimmt die Melodie. Prinzipiell geht es darum, Popmusik für Streichquartett zu schreiben. Das war der Ansatz, dabei ist es geblieben.

Wo seht ihr euch verortet, in der Klassik oder im Pop? Auch eine spannende Frage.
Da gehen die Meinungen stark auseinander. Wenn ich unserer Schallplattenfirma Stücke vorspiele, bekomme ich manchmal zu hören, ach, das klingt aber nach Beethoven. Ich dachte dann, es klingt eher nach Black Midi. Entsprechend dem Erfahrungshintergrund der Hörer wird das ganz unterschiedlich bewertet. Eine eindeutige Schublade scheint für uns noch nicht gefunden. Wir treffen auf Vorurteile sowohl in der Klassik als auch im Pop. Oft denken wir, warum werden wir für diese Veranstaltung oder jenes Festival nicht gebucht, wir wären doch überaus passend. Aber das wird von Veranstalter zu Veranstalter oft ganz anders gesehen. Am Ende des Tages ist es so, dass wir, wenn wir auf Publikum treffen, es nicht so wichtig ist, was die Leute erwarten. Wenn sie offen sind, kriegen wir sie. Wir wissen, wie wir das anstellen müssen. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir irgendwann annehmen mussten, wir wären gescheitert. Egal ob wir vor vielen oder wenigen Menschen auftreten, die Leute können eine Menge mit uns anfangen.

Wie bekommen eure Stücke ihre Namen? Auf "Kaiser Quartett" heißt eins "Hausaufgabe", ein anderes "Stresstest"
Das hat in der Regel mit den Geschichten hinter den Stücken zu tun. "Hausaufgabe" war tatsächlich eine Hausaufgabe während des Studiums. Wir sollten eine Sequenz für Bratsche schreiben, darauf gab es eine Note. Es sind nur acht Takte gewesen, aber ich dachte, ich könnte das zu einem kompletten Stück ausbauen. "Stresstest" schrieb ich auf einer sehr langen Zugfahrt von Bordeaux nach Stuttgart während der Tour mit Chilly Gonzales. Direkt davor hatten sich die Terroranschläge im Bataclan ereignet. Wir gaben eins der ersten Konzerte, die drei, vier Tage danach in Paris stattfanden. Das war eine hoch emotionale Angelegenheit. Daher der Titel, weil wir uns wie in einem Stresstest fühlten. Wie geht man damit um, wenn die Eingänge der Theater von Soldaten mit Maschinenpistolen bewacht werden. Meistens haben die Songüberschriften eine Bewandtnis. Jeder kann aber auch eigene Überlegungen anstellen.

Neben Georgio Moroders "Chase" enthält das Debütalbum euer eigenes "Skate" in doppelter Ausführung. Einmal instrumental, das andere Mal in einer Rappfassung mit C-Rayz Walz. Auf "Empire" sind mehrere Stücke gesungen, "Running The World" von Jarvis Cocker. Es ist eins seiner Stücke und der Songtext der Hammer! "If you thought things had changed/Friend, you'd better think again/Cunts are still running the world" heißt es unter anderem.
In Großbritannien war vor zwei, drei Jahren eine Kampagne gestartet, um Jarvis Cockers "Running The World" vor Weihnachten auf Platz Eins der britischen Charts zu bringen. Boris Johnson war damals Premierminister. Wir hatten Jarvis drei Monate zuvor seinen Song zufällig in einem Streicherarrangement geschickt und gefragt, ob er dazu singen würde. Er erklärte sich bereit, kam aber nicht gleich dazu. Leider wurde "Running The World" keine Nummer Eins. Aber Jarvis sang zu unserem Arrangement und stellte diese Version als Dankeschön an seine Unterstützer ins Netz.

Warum heißt euer zweites Album "Empire"? Woher der Albumtitel?
Ein Stück des Albums heißt so, und wir fanden, das passt. Dem Kaiser Quartett ein eigenes Königreich, wo wir tun und lassen können, was uns gefällt.
Bernd Gürtler SAX 3/23


Kaiser Quartett
"Empire"
(PIAS; 10.3.2023)


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Foto: PIAS
Foto: Tim Fulda
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