|   Rezension

Cass McCombs

Heartmind

(Anti)

Dass Cass McCombs in der Vergangenheit durch überbordende Unbeschwertheit aufgefallen wäre, wollten sicherlich die wenigsten bestätigen. Der vierundvierzigjährige Amerikaner gilt als grüblerisch und introvertiert. Aber Dinge ändern sich, selbst wenn vielleicht auch bloß aus gestalterischen Erwägungen. Laut Presseinfo des Schallplattenlabels ist "Heartmind" der Versuch, den Verlust enger Freunde zu bewältigen. Wie gelänge das nachhaltiger als den traurigen Anlass in heitere Ohrwurmmelodien zu kleiden, weil das die Tragik der Ereignisse nachvollziehbarer und den Hinterbliebenen Mut macht?

Um genau zu sein, sind es drei Menschen gewesen, deren Verlust es zu beklagen gab. Es handelt sich um Neal Casal, den Gitarristen, Sänger und Songschreiber, der als Sidekick stets andere gut aussehen ließ, als Soloartist jedoch nie recht Anerkennung fand und 2019 Selbstmord beging. Chet JR White, Bassist der kalifornischen Formation Girls, erlag 2020 einem Herzstillstand. Sam Jayne, Sänger und Frontmann von Love As Laughter, wurde 2021 auf einem Parkplatz in seinem Automobil tot aufgefunden, nachdem ihm durch coronabedingte Spielstättenschließungen zuerst sein Einkommen weggebrochen war und er dann auch noch seine Wohnung aufgeben musste. Jeden der drei kannte Cass McCombs aus diversen Kooperationszusammenhängen. "You surrendered undefeated/Now you belong to Heaven", ruft ihnen sein "Belong To Heaven" hinterher.

Die übrigen Songs verschieben den Fokus etwas. Der Beobachter in "Karaoke" fragt sich, ob sein Schatz die Worte des Countryklassikers "Stand By Your Man" bloß vom Bildschirm abliest oder wirklich meint. Ein in den Ruhestand entlassener Soldat, dem sich sein Entlassungsdatum ins Gedächtnis gebrannt hat, grübelt in "Unproud Warrior", welche Bilanz er, der sich mit siebzehn freiwillig zum Armeedienst meldete, wohl ziehen kann, während Susan E. Hinton "The Outsider" mit fünfzehn, Mary Shelley "Frankenstein" mit neunzehn und Stephen Crane "The Red Badge Of Courage" mit dreiundzwanzig schrieb.

"New Earth" scheint einen Generalreset für Mother Erde zu befürworten, meint vielmehr aber die ewige Abfolge von Tag und Nacht, welches es einem ermöglicht, am nächsten Morgen wieder von vorn loszulegen.

Abschließende Antworten bleibt Cass McCombs jeweils schuldig, favorisiert stattdessen das Ambivalente, das Ungewisse, die Idee, dass Gewinn und Verlust stets Hand in Hand gehen. Oder Herz und Verstand oft im Widerstreit liegen, einander jedoch bedürfen, wie der achtminütige Titelsong zu "Heartmind" zu bedenken geben will, inspiriert durch Ibn Arabi, einen Sufi-Mystiker des 12. Jahrhunderts und das von ihm überlieferte Zitat "My heart has become capable of any form/My heart has become receptive of every form".
BG/TM


Cass McCombs
"Heartmind"
(Anti; 19.8.2022)


Cass McCombs im Netz
website | Facebook | Instagram | Twitter | YouTube | Spotify | Apple 

 

 

Foto: Silvia Grav

neue Beiträge