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Back To The Garden: Fünfzig Jahre Woodstock

"An Aquarian Exposition: 3 Days Of Peace & Music" versprach das rote Plakat mit der stilisierten Gitarre und einer weißen Friedenstaube. Über die Bühne ging die Veranstaltung vom August 1969 dann nach zweifacher Ortsverlegung auf einem Farmgelände anderthalb Meilen nordwestlich von Bethel, New York, und gilt heute als Schlüsselmoment der amerikanischen Jugendkultur, der gesamten westlichen Welt sogar. Eine Laune der Geschichte? Reiner Zufall das alles? Mitnichten, es fand zusammen was früher oder später schlicht zusammenfinden musste.

Cheforganisator Michael Lang brauchte kein Broadway-Musical namens "Hair", das ihm etwas über Hippies erzählte, dieser rasant wachsenden Gemeinde jugendlicher Nonkonformisten, die in Teilen überzeugt gewesen sind, das anbrechende Zeitalter des Wassermanns, das "Age Of Aquarius", beschere der Menschheit Harmonie und Eintracht. Der gebürtige New Yorker war selbst verwurzelt in jener Subkultur, verfügte über beste Kontakte in die Szene und als Veranstalter des Miami Pop Festivals von 1968 über gewisse Erfahrungen mit Rockgroßereignissen. Obwohl Miami Pop in einem finanziellen Desaster endete, galt er als jemand, der wusste, was er tat. Die Besten der Besten boten ihre Mitwirkung an als Woodstock spruchreif wurde.

Mit Bill Henley beteiligte sich der fähigste Beschallungstechniker damals. Der einzige, der in der Lage war, ein PA-System von einer Größenordnung auf die Beine zu stellen wie es bis dato eher selten benötigt worden war. Chip Monk sorgte für die Beleuchtung und baute am Fuß des leicht abschüssigen Zuschauerareals die imposante Holzbühne mit dem markanten Zeltsegeldach und der Drehscheibe, die leider ihren Dienst versagte, bevor es richtig losging. Wes Pomeroy, ein ehemaliger Justizangestellter der US-Regierung unter Lyndon B. Johnson, von Zeitgenossen als notorischer Menschenfreund beschrieben, entwickelte das auf Deeskalation bedachte Sicherheitskonzept. Ein Filmteam, dem unter anderem Martin Scorsese angehörte, bannte das Ereignis kompetent auf Zelluloid. Die Medien sind frühzeitig einbezogen gewesen und vor Ort Fotografen, die wahre Bildikonen schufen. Das in seine Steppdecke gewickelte Pärchen, das seit 1970 auf dem Frontcover des Dreifachalbums "Woodstock: Music From The Original Soundtrack And More" abgebildet ist, hat sich eingebrannt ins kollektive Gedächtnis wie die sechs Weltkriegssoldaten der US-Armee, die nach der Eroberung der japanischen Pazifikinsel Iwojima auf einer Bergkuppe das Sternenbanner aufstellen.

Schließlich und endlich die Musik natürlich, die einen repräsentativen Querschnitt bot. Folkikone Joan Baez, ein wenig auch Stellvertreterin für den mit Abwesenheit glänzenden Bob Dylan, erinnert mit "Joe Hill" an einen namhaften amerikanischen Gewerkschafter und somit Wegbereiter genau der sozialen Sicherheit, die es den jungen Leuten im Auditorium und anderswo erlaubte, sich den Konventionen erfolgreich zu widersetzen. Die Bürgerrechtsbewegung ist in "Drug Store Truck Drivin' Man" präsent, einem Duett von Joan Baez und Jeffrey Shurtleff. Ebenso bei Santana und Sly & The Family Stone, beide Bands multikulturell besetzt mit Schwarzen, Weißen und Latinos. Country Joe McDonalds "Feel-Like-Fixin'-To-Die-Rag" und Jimi Hendrix mit seinem im Feedbackinferno geschredderten "Star Spangled Banner" lassen den Krieg der USA in Vietnam aufscheinen. "Wooden Ships" von Crosby, Stills & Nash, hier dargeboten mit Neil Young als vierten im Bunde, beschreibt die Furcht vor einem atomaren Holocaust. Janis Joplin und Jefferson Airplanes Grace Slick demonstrieren, dass Frauen im Rock Frauen in Hosen sind. Canned Heat, Johnny Winter und Paul Butterfield erinnern an die Rockwurzeln im schwarzen Blues. Bei den Rock'n'Roll-Revivalisten Sha Na Na schaut Elvis Presley wohlwollend auf das Festival herab. Zum guten Schluss dürften die Vierhunderttausend selbst überrascht gewesen sein, wie viele sie sind, zusammengekommen dank ihrer "Music", dem Facebook, dem Twitter von damals. Und dass drei Tage lang tatsächlich fast durchweg "Peace" geherrscht hat, trotz zweier Gewittergüsse, die über dem Festival niedergingen, inmitten furchtbar unfriedlicher Zeiten. Eine Utopie, nach dem Vorbild von Martin Luther Kings berühmter "I Have A Dream"-Rede von John Sebastian in seinem "I Had A Dream" beschworen, war für einen kurzen Augenblick Wirklichkeit geworden. Auf dem Grund und Boden eines Mannes auch, der den Festivalbesuchern nicht unbedingt wohlgesonnen sein musste. Max Yasgur, vom Jahrgang ein Vertreter der Elterngeneration, fand aber, dass die jungen Leute einen Platz haben sollten sich zu versammeln, selbst wenn er mit ihrer Weltanschauung nicht unbedingt übereinstimmte.

Gerade der Umstand, dass es möglich schien, Gegensätze und Widersprüche zugunsten eines kollektiven 'Wir' zu überwinden, sollte im Nachhinein eine ungeheure Strahlkraft entfalten, über den Westen hinaus. Kein Eiserner Vorhang konnte die Verbreitung der Idee im Osten verhindern. Den gewöhnlich gut informierten Subkulturkreisen der ehemaligen DDR, war das Festival spätestens 1971/72 durch "Woodstock: Music From The Original Soundtrack & More" sehr wohl bekannt. Eine zweite Chance bekam, wer 1974 eine ungekürzte Lizenzpressung des Dreifachalbums auf dem tschechoslowakischen Schallplattenlabel Supraphon ergattern konnte.

Erwartungsgemäß erscheinen zum Jubiläum diverse Schallplattenveröffentlichungen und Buchpublikationen. Das US-Musikmagazin Rolling Stone hat auf seiner Website einen Filmclip eingestellt. Die Nürnberger Egidienkirche zeigt noch vom 16.8.-30.9. eine Ausstellung mit Fotografien des Woodstock-Veteranen Elliott Landy.
Bernd Gürtler/TM

John Sebastian/Foto: Henry Diltz
Janis Joplin/Foto: Henry Diltz

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