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Steiner & Madlaina: Von Männern, Frauen und dem verdammten Klimawandel

Erschreckend oft begegnet es einem dieser Tage, dass jemand Wladimir Putins Ukrainefeldzug völlig legitim findet. Eins ums andere Mal denkt man, geht's noch? Was ist mit den Menschen, die ihr Leben lassen müssen, Haus und Hof, ihre Heimat verlieren? Wofür soll dieser Krieg gut sein? Die grausame Gegenwartswirklichkeit stand bei der Zoomschalte mit Nora Steiner und Madlaina Pollina im Vorfeld ihres zweiten Album "Wünsch mir Glück" (Glitterhouse) noch nicht zur Debatte, das Interview hätte sonst einen anderen Verlauf genommen. Trotz alledem bleibt das beackerte Themenfeld hochaktuell.  

Stichwort Klimawandel. Der Eröffnungssong zu "Wünsch mir Glück", "Es geht mir gut", kann das, was die Songüberschrift andeutet, nur bedingt aufrechterhalten. Ein schlechtes Gewissen macht sich breit. Die Sommersonne als Ursprung des Wohlbefindens fühlt sich mehr und mehr bedrohlich an. Eigentlich dürfte man es sich gar nicht gutgehen lassen, müsste vielmehr aktiv werden, aber es fällt schwer, den inneren Schweinehund zu überwinden.
Nora Steiner
: Ich könnte es nicht besser zusammenfassen. Die unterschiedlichen Welten eben, die ständig aufeinanderprallen. Das Private, wo es einem auch mal gutgehen darf, gerade im Sommer. Aber immer öfter wird einem angst und bange, wenn wochenlang die Sonne brennt und Rekordhitze herrscht. Man weiß, dass das nicht in Ordnung sein kann, findet es insgeheim aber super.
Madlaina Pollina: Oder wenn es nicht mehr richtig Winter wird, denkst du, ganz angenehm eigentlich. Aber das darfst du nicht denken.

Um den Klimawandel abzuwenden, dürfte selbst die sorgfältigste Mülltrennung kaum mehr ausreichen. Was kann der Einzelne heute noch tun?
Madlaina Pollina: Das Einzige ist, die richtige Entscheidung an der Wahlurne zu treffen. Das macht keine besondere Mühe.

Ein zweiter Song auf "Wünsch mir Glück" heißt "Heile Welt" und streift die Flüchtlingsbewegungen aus der arabischen Welt seit 2015. Auch ein Thema, das euch bewegt?
Madlaina Pollina: Auf jeden Fall, das Flüchtlingslager Moria ist nicht weit weg. Man kann sich dem nicht entziehen, das ist Alltag geworden.
Nora Steiner: Die Krisen, die uns beschäftigen, sind so gewaltig, dass wir sehr gut darin geworden sind, sie auszublenden. Keiner will ständig darüber nachdenken. Aber man muss sich damit auseinandersetzen, diese Dinge betreffen uns.

Müsst ihr in eurem Umfeld zu Hause in der Schweiz eure Ansichten arg verteidigen? Oder herrscht ein allgemeiner Konsens?
Nora Steiner: Mit den meisten stimmen wir überein. Eigentlich jeder in unserem Freundeskreis, in unserer Familie weiß, wie privilegiert wir sind. Mit denen, die es nicht wissen, pflegen wir kaum Umgang.
Madlaina Pollina: Wir sind alle unter mehr oder weniger ähnlichen Voraussetzungen aufgewachsen, so dass die meisten von uns ähnlich ticken. Die Selbstverständlichkeit, dass es uns gut geht, dass wir Krieg nicht am eigenen Leib erfahren mussten, immer satt zu essen hatten, selbstbestimmt leben können, das hat uns geprägt. Die Sicherheit auf sämtlichen Ebenen macht leichtsinnig, zum anderen aber sensibel. Man weiß einfach, dass man den Längeren gezogen hat.
Nora Steiner: Natürlich gibt es auch in der Schweiz Armut. Aber wir sind in Mittelstandsfamilien aufgewachsen. Von dort aus kannst du gar nicht tief fallen. Außer du verzapfst etwas ganz Dummes, dass du drogenabhängig wirst oder so. Wer seinen Job verliert, muss nicht gleich befürchten, auf der Straße zu landen.
Madlaina Pollina: Aber die Übersicherheit, die die Schweiz bietet, ist ein Sonderfall und auch nicht verdient. Da muss man sich revanchieren und etwas zurückgeben.

Neben dem großen Weltgeschehen sind die Gleichberechtigung der Geschlechter, Emanzipation, Feminismus eine Themenfacette auf "Wünsch mir Glück". Bemerkenswert euer Song "Wenn ich ein Junge wäre", wo es nicht nur um das Verhältnis zwischen Männern und Frauen geht, sondern auch darum, was Frauen von ihren Müttern mitbekommen, wodurch wiederum ihre Beziehung zu Männern entschieden geprägt ist.
Nora Steiner: Richtig, beim Verfassen des Presseinfos unterhielten wir uns darüber. Madlaina meinte, es sei generell ein Schwerpunkt unseres Albums, dass wir eigene Fehler anerkennen und nicht mit dem Finger auf andere zeigen. Nicht sagen, ihr macht das falsch, sondern uns fragen, was macht jeder von uns falsch.
Madlaina Pollina: Sobald man sich eingesteht, dass man selbst Teil des Problems ist, kann man daran gehen, das Problem zu lösen. Man hört auf zu fordern, dass der andere es lösen soll. Die Idee ist, sich den Song gemeinsam anzuhören, miteinander zu lachen, gemeinsam das Blöde blöd zu finden. Es soll nicht heißen, Männer, hört ihr euch das an!
Nora Steiner: Der Song tanzt insofern auch aus der Reihe, als dass dort reingepackt wurde, worauf wir Bock hatten. Ein NDW-Synthesizer ist drin, die Toten-Hosen-Chöre sind drin, all das, wovon wir hinterher dachten, was, das haben wir echt riskiert? Der Song soll Spaß machen, nicht cool, nicht verkopft sein, sondern einfach raus damit. Obwohl es ein ernstes Thema ist, tragen wir es mit einem Augenzwinkern vor. Die Musik unterstreicht das. Entstanden ist der Song aus unzähligen frustrierenden Erlebnissen, die man als Frau so hat.

Zum Beispiel?
Nora Steiner: Ich wurde zwei Mal als DJ gebucht, um aufzulegen. Beide Male wurde ich von Männern gestört. Das eine Mal auf der Party einer guten Freundin. Ständig kamen Männer an und redeten mir rein. Dann stiegen die Lautsprecherboxen aus, wir mussten neu verkabeln. Begleitet hatte mich ein Freund, der nichts mit Musik zu tun hat, sondern Architektur studiert. Gefragt wurde er, ob er das neu verkabeln könne. Obwohl ich sowas jeden Tag erledige. Aber die Partygäste meinten, nein, nein, wir wollen, dass das auch funktioniert. Ich dachte, ich spinne! Beim zweiten DJ-Engagement, das war auf einer Party unserer Bookingagentur, ist auch ständig ein Typ angekommen und hat sich aufgedrängt. Am nächsten Tag musste ich Songs für unser neues Album fertig schreiben, bevor wir ins Studio gehen wollten. Ich hörte damals gerade intensiv Peaches, schleppte mein Equipment aus dem Bandprobenraum nach Hause, den Verstärker in der einen Hand, in der anderen mein Pedalboard, das war schwer. Zu allem Überfluss wurde ich auch noch von Männern aus einem Auto angehupt. Ich war so was von wütend! Aber es war ein lustiges Wütendsein, ich musste lachen über die Situation, wie ich den Berg hoch staxle, Peaches höre und den Mittelfinger zeige.

Was, würdet ihr sagen, sind die wichtigen Wahrheiten, was die gravierenden Irrtümer der aktuellen Feminismusdebatten?
Madlaina Pollina: Ich glaube, ein Riesenirrtum ist, dass es gar nicht auf Gleichberechtigung hinauslaufen soll, sondern Frauen mehr Macht bekommen als Männer. Sagen wir, Blau ist mächtiger als Rot und Rot möchte mehr Macht, dann muss Blau logischerweise Macht abgeben. Aber das heißt noch lange nicht, dass Rot plötzlich mehr Macht als Blau hat. Schwierig offenbar sowohl für Männer als auch Frauen zu verstehen, was Feminismus eigentlich bedeutet. Frauen sagen oft, sie wollten auf gar keinen Fall Feministin sein, weil, ihnen gefällt ihre traditionelle Rolle. Die will ihnen gar niemand streitig machen, sie dürfen ihre Rolle behalten. Es geht vielmehr darum, dass jeder seine Rolle finden darf.
Nora Steiner: Ergänzend vielleicht noch an die, die sich schon am Vokabular hochziehen und bei dem Wort Feminismus explodieren. So heißt das nun mal, irgendwie muss man es benennen. Deswegen muss man sich nicht gegenseitig die Köpfe einschlagen und behaupten, Feministinnen seien ungepflegte, rüpelige Weiber.

Auf "Wünsch mir Glück" enthalten auch das eine oder andere hinreißende Liebeslied. "Casanova" zum Beispiel, wo sich ein herrliches erotisches Knistern entfaltet. Das provoziert die Frage, wie muss euch ein männliches Gegenüber begegnen, damit ihr sein Werben für voll nehmt?
Madlaina Pollina: Oh, megaschwierige Frage. Keine Antwort im Moment. Vielleicht kann ich das sagen, wenn ich älter bin.
Nora Steiner: Wirklich sehr schwierige Frage.
Madlaina Pollina: Er sollte Humor haben, das ist sicherlich wichtig.
Madlaina Pollina: Stimmt, Humor ist immer gut.

An vorletzter Stelle des Albums steht "Wünsch mir Glück". Warum wurde ein Song so weit hinten als Titelsong gewählt?
Madlaina Pollina: Das war eine ziemliche Bauchentscheidung. "Wünsch mir Glück" ist ein ultrapersönlicher Song, gesungen über weite Strecken in der ersten Person. Aber dann kommt eine zweite Stimme dazu, die dasselbe singt wie die erste Stimme und eine Harmonie reinbringt. Wir fanden es spannend, das als Titelsong für eine Band, die ganz klar ein Duo ist, um deutlich zu machen, dass es keine Rolle spielt, wer von uns beiden was singt.
Nora Steiner: Auf dem Frontcover, das ist Anna, unsere gute Freundin und Fotografin. Das Foto von ihr hat Madlaina geschossen, als Anna sechzehn war und bei einem Fahrradunfall einen Zahn verloren hatte. Das Foto beschreibt das Album sehr gut. Ein Teenager mit ausgeschlagenem Zahn. Das hat Humor, wirkt irgendwie auch melancholisch. Sehr passend für ein Album, das traurige mit lustigen Songs mischt und "Wünsch mir Glück" heißt.
Bernd Gürtler SAX 5/22 


Steiner & Madlaina
"Wünsch mir Glück"
(Glitterhouse; 12.2.2021)


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Foto: Tim Wettstein
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