Gegründet 1980 im Sternzeichen des Punkrock von den angehenden Schriftstellern, bildenden Künstlern beziehungsweise Fotografen Thomas Meinecke, Justin Hoffmann, Michaela Melián sowie Wilfried Petzi, legt die Münchner Formation keinerlei Wert auf Authentizität, stattdessen rücken kulturelle Brüche in den Fokus. "Tu den Hammelsprung" vom Debütalbum "Stürmer" zum Beispiel, dort nimmt der Songtitel Bezug auf Tanzmoden der Rock'n'Roll-Ära, die zuvor bereits von Roxy Musics "Do The Strand" gefeiert wurden und durch die Freiwillige Selbstkontrolle thematisch mit einer speziellen Abstimmungspraxis des deutschen Bundestags in Verbindung gebracht sind. Den Rhythmus liefern simple Drumcomputerbeats, ein konventionelles Schlagzeug kommt erst im Zuge der Wiederaneignung transatlantischer Musikexporte alpenländischer Roots Music zum Einsatz. Das Album "The Sound Of Music" war gedacht als Hommage an die legendäre Trapp Family. Noch etwas später werden Techno und House Music Stilmittel ihrer Wahl.
Nach "Ein Haufen Scheiß und ein Zertrümmertes Klavier", einem ausgedehnten Improvisationsexkurs mit Gesangseinlage, bei dem tatsächlich ein Klavier zu Bruch ging, wird auf "Topsy-Turvy" vom Instant Composing der Kölner Krautrockpioniere Can Gebrauch gemacht. "Amorbach" verweist auf die Feriendestination des jungen Theodor W. Adorno im unterfränkischen Odenwald, der Titelsong "A Topsy-Turvy World" auf eine auf den Kopf gestellte, chaotische Welt wie sie in den achtziger Jahren von einer gleichnamigen Londoner Ausstellung des Goethe-Instituts anhand von Flugblättern des 17./18. Jahrhunderts aus Deutschland, Frankreich und England gezeigt wurde. Nicht sehr viel anders fühlt sich die inzwischen überbordend komplexe Gegenwartwirklichkeit an. Und richtig, "Claude Lanzmann (Und Sein Bruder)" will auch ins Bewusstsein rufen, dass Antisemitismus niemals ganz ausgemerzt war. Also besser wachsam bleiben.
Bernd Gürtler/TM
Freiwillige Selbstkontrolle
"Topsy-Turvy"
(Buback; 13.10.23)
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