|   Rezension

Thurston Moore

Flow Critical Lucidity

(Daydream Library)

Das Phänomen der luziden Träume oder Klarträume bildet eine Hauptinspirationsquelle des Albums, was sicherlich kaum erwähnenswert wäre, entstünde beim Anhören nicht eben der Eindruck eines kontinuierlichen Bewusstseinsstroms. Faszinierend! Die begierig herbeigewünschte Reunion von Sonic Youth? Braucht kein Mensch, wenn Thurston Moore Soloscheiben wie "Flow Critical Lucidity" abliefert.

Meistenteils hart an der Grenze zum Experimentellen und dennoch straff organisiert über einem soliden Beat die Stücke auf "Flow Critical Lucidity", "Rock'n'Roll Consciousness" von 2017 nicht unähnlich, bloß dass die sonst allgegenwärtigen Elektrogitarren raffinierten Klangwelten gewichen sind. Eine passende Begleitformation konnte Thurston Moore hinter sich versammeln. Diejenige, an der sich die Befähigung am ehesten festmachen lässt, ist Bassistin Debbie Googe, hauptamtlich bei My Bloody Valentine, deren Debütalbum "Isn't Anything" bereits Ende der achtziger Jahre erahnen ließ, was klanglich im Rock möglich ist.

Erwartungsgemäß dienen die imponierenden Formen dem Transport gewichtiger Inhalte. "Rewilding", gedacht als Hymne zum Earth Day, knüpft an eine Bewegung in Großbritannien, die den Einfluss des Menschen auf Ökosysteme zurückdrängen will und für Renaturierungen eintritt. "Isadora", als Flexidisc der Vinyledition beigelegt, geht zurück auf die amerikanische Wegbereiterin des modernen sinfonischen Ausdruckstanzes Isadora Duncan, im Begleitvideo vertreten durch Elektropopperin und Model Sky Tonia Ferreira. Der Albumtitel entstammt "Sans Limites", einem Duett mit Leatitia Sadier von Stereolab, über das Thurston Moore laut Presseinfo des Schallplattenlabels selbst sagt, es sei "not only about eradicating any limitations towards enlightenment, but going beyond limitations. The idea that a soldier can fight the good fight. A warrior against war".

Der frühe Tod seines Vaters riss eine schmerzhafte Lücke, die Thurston Moore zu füllen vermochte mit Hilfe der Musik, der Literatur, der Kunst, die im Elternhaus stets präsent waren, und entwickelte die Idee, dass "the human condition could be improved by the way of an artist's creative vision", wie nachzulesen in seiner Autobiographie "Sonic Life". Seit durch den älteren Bruder mit den Kingsmen und deren "Louie Louie" vertraut gemacht, ist Thurston Moore der Rockgeschichte von Markstein zu Markstein gefolgt und schuf mit Sonic Youth selbst eine höchst individuelle Variation. Nie aufgegeben dabei der Gedanke, dass Rockmusik gesellschaftspolitisch eine ernstzunehmende, gestalterische Kraft sein könnte. "Flow Critical Lucidity" steht in derselben Tradition. Ein Album, das den Alltag reicher macht, unbedingt!
Bernd Gürtler/TM


Thurston Moore: "Flow Critical Lucidity" (Daydream Library; 20.9.24 LP)
Thurston Moore: "Flow Critical Lucidity" (Daydream Library; 27.9.24 CD)


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Foto: Vera Marmelo

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