|   Rezension

Dr. John

Things Happen That Way

(Rounder/Universal)

Mit dem Älterwerden verblasst die Gegenwart, stärker ins Bewusstsein rücken Erinnerungen aus der Vergangenheit, ein Phänomen, das Familienangehörigen begegnet, wenn Opa wieder vom Krieg erzählt und ebenso die seriöse Wissenschaft beschäftigt. Von geradezu schicksalhafter Tragweite ist, dass Malcolm Mac Rebennack, seiner weltweiten Anhängerschaft als Dr. John The Night Tripper bekannt, mit dem letzten von ihm selbst noch zu Lebzeiten angeschobenen Albumprojekt bis zum Anfang seiner Biographie zurückgeht. "Things Happen That Way" knüpft an die Kindheit und Jugend in New Orleans.

Sein Vater war Schallplattenhändler und bestückte die Musikautomaten der Stadt. Ausgemusterte Scheiben, damals 78er Schellacks, landeten auf dem Grammophon von Sohnemann, der deutlich enthusiastischer auf schwarzen Blues als auf weiße Country Music reagiert, selbst lieber T-Bone Walker als Chet Atkins sein wollte und dann als Erwachsener den gesamten Musikkosmos von New Orleans in seinem Sound zu vereinen wusste.

Blues, Jazz, Soul, Funk, Einflüsse der Karibik, die Operntradition der Crescent City, Dr. John bringt das sowohl in zeitgenössischer Breite als auch historischer Tiefe zum Klingen, oft gewürzt mit einer Prise Voodoo. Die Country Music scheint immer sowas wie das Steinchen im Schuh gewesen zu sein, das hin und wieder gedrückt hat. Spät, aber gerade noch rechtzeitig sollte es die Zuwendung erhalten, nach der es verlangte.

"Things Happen That Way" ist deshalb kein Country-Album im klassischen Sinne geworden. Die fetten Bläsersätze, die Secound-Line-Rhythmen sind zweifelsfrei typisch New Orleans. Enthalten aber mit "Ramblin' Man" sowie "I’m So Lonesome I Could Cry" zwei Coverversionen aus dem Nachlass von Hank Williams. "Funny How Time Slips Away" stammt im Original von Willie Nelson, der sich beim Gospeltraditional "Gimme That Old Time Religion" als Duettpartner zur Verfügung stellte und Sohn Lukas Nelson samt dessen eigener Band Promise Of The Real mitbrachte, um ihnen die Begleitung bei "I Walk On Guilded Splinters" zu übertragen, wo Dr. John sich selbst covert; der Song stammt von seinem Debütalbum "Gris-Gris" aus dem Jahr 1968.

Unter den von ihm selbst verfassten Songs sticht "Holy Water" heraus, das seine Fehltritte als jugendlicher Kleinkrimineller thematisiert. Der Quasititelsong ist an eine nicht näher genannte Frauenperson gerichtet, die eine verlässliche Stütze im Leben war. "Things Happen That Way" schließt den Kreis, das überragende Bookend einer Karriere, die ihresgleichen sucht. Beeindruckender könnte er sich nicht verabschieden.
BG/TM


Dr. John
"Things Happen That Way"
(Rounder/Universal 23.9.2022 )


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Foto: Michael Wilson

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